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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Suche nach dem Geschöpf, das William Davenport den Verstand aus dem Leib gerissen hatte. Aber bis vor kurzem waren ihre Wege unberechenbar gewesen, und sie hatte sie nie gefunden. Mit einem Mal kam Leslie der Gedanke, dass sie vielleicht nie wirklich gesucht hatte. Dass die Erschöpfung, wenn sie in der Morgendämmerung heimkehrte, nicht nur die Erschöpfung der Enttäuschung gewesen war, sondern vor allem der Erleichterung.
    Grau knurrte. Längst hatte er sich umgewandt, den Rücken zur Burg, die Zähne zum Moor. Dort draußen in der Dunkelheit war etwas. Noch war es weit fort, aber es kam näher.
    Leslie legte Grau die Hand in den Nacken, und unter ihrer Hand erbebte er. Dann zerfloss er zu Nebel. Er breitete sich aus und schien zu verwehen. Man hätte meinen können, er sei fort, aber sie wusste es besser. Er ließ sie nicht allein. Nicht Grau.
    Stille. Leslie stand aufrecht und wartete. Ihre Angst war zu Anspannung verklungen, die fast angenehm auf der Haut kribbelte. Sie senkte ein wenig den Kopf, als feuchter Wind aufkam, in der nächtlichen Luft lag mit einem Mal der herbe Duft nach Ozon.
    Der Wind drehte sich und kam nun vom Moor. Leslie glaubte Stimmen darin zu hören, aber es war nichts zu sehen. Noch nicht. Sie wartete und wusste nicht, was sie sehen würde, wenn endlich etwas auftauchte.
    Als sie Ned Finley aus dem Moor geholt hatten, wo er auf Alasdairs Geheiß hin die Nacht hatte verbringen sollen, bis einer der Kobolde ihn abholte oder die Sonne aufging, da hatte Leslie sie nicht gesehen. Nicht einmal gehört hatte sie sie. Die Schwarze Banshee hatte nur für Finley gesungen. Und als sich Grau näherte, da war sie so eilig verschwunden, dass Leslie nur noch die Ahnung ihrer Gegenwart vorgefunden hatte, als sie Finley erreichten. Einen tonlosen Klang in der Luft, dem man lauschen wollte, um darüber den Verstand zu verlieren, dass nichts zu hören war, obwohl man doch die Töne in den Knochen vibrieren fühlte. Tiefe Traurigkeit, die sich in den Boden gegraben hatte, so dass die darin wurzelnden Pflanzen sie verströmten.
    Über ihren Rücken liefen winzige, eiskalte Füßchen. Sie starrte ins Dunkel und tastete nach Grau, der nicht mehr neben ihr stand. Sie ist da, dachte sie. Und dann noch einmal, zu mehr war sie nicht imstande: Sie ist da.
    Und da klang ein Laut aus dem Dunkel.
    Es war nur ein einziger Ton. Ein süßer, zarter Klang, der ihren Atem stocken ließ. Nicht feindselig, kein giftiges Zischen, wie sie es erwartet hatte, kein Angriff, nur ein unendlich zarter, freundlicher Klang in der Luft, der sich wie eine warme Decke um ihre Schultern legte. Eine Frage.
    Bist du nicht müde?
    Kein Gesicht. Keine Gestalt. Niemand war da. Nur dieser kurze Beginn einer Melodie, dann wieder Stille. Zu ihrer eigenen Überraschung wankte Leslie. Ihre Beine waren schwer, und sie war furchtbar benommen.
    Aus dem Dunkel wogte ein weiterer Laut auf sie zu, etwas voller diesmal, als stimme ganz im Hintergrund eine Violine in die Melodie mit ein. Bist du nicht …
    Blitzschnell floss zu ihren Füßen der Nebel zusammen, verdichtete sich und schoss vorwärts, noch ehe er ganz eine Gestalt bildete. Graus Grollen erschütterte den Boden. Etwas floh vor ihm, rücksichtslos brach er hinterher durch die Büsche und verschwand. Zurück blieben Leslie und die lastende Stille.
    Eine ganze Weile später, so schien es ihr, atmete sie zitternd aus. Wieder ein. Aus. Die Luft schmerzte in den Lungen. Und noch mehr schmerzte die Antwort auf die Frage des Wesens, das sie nicht einmal gesehen hatte.
    Bist du nicht müde?
    O ja, dachte Leslie. Sie zog sich bis zur Wand einer Turnhalle zurück und lehnte sich benommen dagegen. Sie hat für mich gesungen, dachte sie verwirrt. Obwohl Grau dabei war.
    Jetzt war Grau fort. Sie war allein. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Alleinsein beängstigend. Sie barg eine zitternde Hand in der anderen und presste beide in die Magengrube. Sie spürte nichts, weder die klammen Finger, die sie ineinander verkrampfte, noch die Berührung an ihrem Bauch.
    Bist du nicht müde?
    Der Gesang einer Banshee war schön und schrecklich zugleich. Der Gesang der Schwarzen Banshee war keine Ausnahme. Sie hatte nicht gewusst, wie süß die Stimme sein würde, wie zart, wie verlockend. Eine Banshee sang von der Schönheit des Sterbens. Davon, loszulassen und davonzugleiten. Sie sang so schön, dass man seine Angst vergaß. Oder dass man selbst seine Angst als etwas Schönes empfand, seinen Schrecken, seine

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