Die Feen - Hallmann, M: Feen
jetzt.« Damit wandte er sich ab und ging. Verschwand nicht im Speisesaal, sondern in einen anderen Korridor, mit schnellen Schritten, als wolle er von hier entkommen, ehe er etwas tat, das er bereuen mochte. Geduckt folgte ihm der kleine braune Zee, in seiner beflissenen Eile erinnerte er an eine nasse Ratte.
Leslie schüttelte Bennys Hand ab, stellte fest, dass sie allein noch nicht ganz sicher stand, und taumelte zur Wand, wo sie sich abstützte. Sie tastete nach ihrem Gesicht. Ihre Wange war heiß und brannte. Fühlte sich auch dick an, geschwollen, ihr Gesicht war ganz fremd. Sie selbst war ganz fremd.
»Du blutest.«
Erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass es Benny war, der gesprochen hatte, und dass er sie gemeint hatte. Sie schaute zu ihm hoch. So blass und schmal. Die Augen glühten im Gesicht, das aussah wie frisch gekalkt. Zorn brannte darin, der der Welt galt, nicht Alasdair. Und Besorgnis. Die galt ihr. Ihr ganz allein.
Rasch wühlte er in seiner Jacke herum und förderte ein Taschentuch zutage. »Hier.« Behutsam, als könnte sie sich vor ihm erschrecken wie ein scheues kleines Waldtier, kam er ein wenig näher und reichte es ihr mit ausgestrecktem Arm. Neben ihm gab es eine Bewegung, als der Krötenkobold aus einem dunklen Winkel kroch und an ihm emporkletterte. Deutlich sah Leslie, wie sein Gewicht Bennys Hose, dann die Jacke seiner Schuluniform nach unten zog, aber er bemerkte es nicht. Niemand, der nicht sah, hätte es bemerkt. Ebenso wenig wie die Schatten, die sich an Benny schmiegten und von seinem Zorn tranken. Kein Wunder, dass er so bleich war.
»Danke.« Sie tupfte ihre Lippe ab. Der weiße Zellstoff färbte sich rot. Fasziniert schaute sie es an. Schön war es, dieses leuchtende Rot auf Blütenweiß.
»Bist du … okay?«, fragte er scheu.
Sie starrte ihn an und wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Sie wusste nicht einmal, was er meinte. Weil ihr nicht einfiel, was sie sagen sollte, wandte sie sich ab und ließ ihn stehen. Sie vergaß sogar, dass er dort stand. Sie wollte nur noch hier weg.
Sie meint es gut, aber wenn sie träumt, weiß sie nicht, was sie tut.
Sie hatte sich schon wieder geirrt. Sie hatte nicht im Entferntesten geahnt, wer oder was die Schwarze Banshee in Wirklichkeit war. Und jetzt, da sie es wusste, sehnte sie sich verzweifelt danach zurück, es nicht zu wissen.
Bist du nicht müde?
Tränen stiegen Leslie in die Augen. Die Stimme so zart, so jung und, wie sie jetzt begriff, so unschuldig. Ein träumendes Kind, das nicht wusste, was es anrichtete.
Und du?, dachte sie. Bist du auch so müde, meine Schwester?
23 Überleben
23 ÜBERLEBEN
D ie Unruhe wühlte in Felix wie ein Tier, das sich durch seine Innereien fraß. Kaum konnte er stillsitzen, dem Unterricht folgen ohnehin nicht. Er war froh, als endlich Zeit zum Mittagessen war, fast überlegte er, es ausfallen zu lassen und zum Dorf hinüberzulaufen. Aber beim Frühstück hatte er kaum etwas herunterbekommen, sein Magen knurrte wie verrückt. Außerdem hatte er Angst vor dem, was er erfahren mochte.
Als dann beim Mittagessen Ronald Middle hereinplatzte und erzählte, dass sich eben Alasdair und der Neue – damit meinte er Benny – geprügelt hätten, und zwar wegen Alasdairs Schwester, die Alasdair mitten im Gang lauthals angebrüllt habe, war der Rest seiner Fassung endgültig dahin. Zwar wusste er jetzt, dass Leslie die Nacht überlebt hatte – aber was mochte sie bewogen haben, nach Glen zu kommen? Von der Nacht, in der sie Ned Finley das Leben oder zumindest den Verstand gerettet hatte, einmal abgesehen, war Leslie nicht auf der Burg gewesen, seit er denken konnte. Alasdair wollte sie hier nicht haben. Und jetzt stürmte sie einfach in den Speisesaal, als ob das nichts wäre. Was sie gewollt hatte, wusste er nicht, überhaupt kam kurz nach Ronald Middle Gil Darcy herein und flüsterte mit wichtiger Miene mit den anderen Viertklässlern, und binnen einer Viertelstunde kannte Felix verschiedenste Versionen ihres Auftritts, eine dramatischer als die andere. Als Benny verspätet hereinkam, schnappten die Köpfe zu ihm herum, in Erwartung neuer Details, aber er wusste von nichts, hatte nichts gesehen, nichts gehört, und das Gespräch wandte sich schnell wieder dem Wenigen zu, was Middle und Darcy erzählt hatten. Von einem wütenden Streit im Korridor sprach man, von gebrüllten Worten, die selbst durch die schweren Holztüren gedrungen waren. Da war Felix klar, dass etwas nicht stimmte, da
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