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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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Halle, an der nichts rot war außer vielleicht hier und da ein paar Fasern in den Wandteppichen. Die Halle war klein im Vergleich zur Großen Halle beim Eingang, aber trotzdem hätte die Wohnung von Bennys Eltern mehrfach hineingepasst.
    »Wieso eigentlich Rote Halle?«, fragte er, als sie die breite Treppe hinauftrabten.
    »Erzähl ich dir ein anderes Mal. Ist eine lange Geschichte. Ich muss noch mal in die Bibliothek rennen.«
    »Dann bis später«, verabschiedete sich Benny und machte sich auf die Suche nach seinem Französischkurs. Als er ihn endlich gefunden hatte, wünschte er sich bereits nach zwei Minuten in den Technikkurs zurück. Mit Ach und Krach brachte er seine Vorstellung auf Französisch zustande, aber bereits die erste auf Französisch auf ihn abgefeuerte Frage war zu schnell für ihn, und er verstand rein gar nichts. Er beschloss, in seinem Zeugnis nachzusehen, ob da wirklich noch vorletztes Jahr eine Eins gestanden hatte, bevor seine Leistungen abgesackt waren. In dem kleinen Kurs mit vierzehn Schülern jedenfalls fühlte er sich, als habe er ungefähr gestern zum ersten Mal in seinem Leben eine französische Vokabelliste gesehen.
    »Mister Reutter, bitte bleiben Sie noch kurz«, bat ihn Mister Delacroix auch folgerichtig am Ende der Stunde. Schicksalsergeben trottete Benny nach vorn.
    »Sie trauen sich noch nicht recht«, sagte Mister Delacroix, als die anderen Schüler den Raum verlassen hatten. Er war fast kahl, spinnendünn und trug eine Brille, mit der andere Leute zum Tiefseetauchen gegangen wären. »Sie müssen sich trauen, Fehler zu machen. Das Geheimnis beim Erlernen einer Sprache ist das Spielerische. Keine Angst haben.«
    »Ich verstehe im Unterricht hier kein Wort«, sagte Benny. »Ich war immer gut in Französisch, aber …«
    »Aber hier ist der Unterricht ganz anders.« Mister Delacroix lächelte. »Sie haben sicher viel nachzuholen, das ist nicht zu bestreiten. Nur Mut, Sie werden das schon schaffen. Besuchen Sie bitte unbedingt den Vertiefungskurs am Sonntag, das möchte ich Ihnen doch sehr ans Herz legen. Und suchen Sie sich jemanden, mit dem Sie ab und zu Gespräche auf Französisch führen. Ganz normale Gespräche über die Familie, das Wetter und die politische Lage im Nahen Osten.« Sein Gesicht war wie aus Pergament und schlug feine, trockene Falten, wenn er lächelte. »Haben Sie Spaß an der Sprache. Und wenn Sie ihn nicht haben, dann legen Sie ihn sich zu. Entwickeln Sie Gespür für die Schönheit des Französischen. Lesen Sie Bücher auf Französisch, die Sie bereits kennen, lesen Sie sich selbst Ihre Lieblingspassagen laut vor. Und sprechen Sie mit anderen auf Französisch. Unbedingt: sprechen. Sprachen lernt man nicht auf dem Papier, sondern indem man sie spricht. Ihre Grammatik ist solide, ebenso Ihre Aussprache. Es fehlt Ihnen nur erheblich an Praxis. Übrigens das Problem nahezu aller Schüler, die von deutschen Schulen kommen. Da müssen Sie sich keine Gedanken machen. Einfach nur tapfer voran. Ich werde in diesem ersten Halbjahr nicht Ihren aktuellen Stand benoten, sondern Ihre Fortschritte.«
    Überrascht schaute Benny von seinen Turnschuhen auf. »Meine …«
    »Ihre Fortschritte, ganz genau. Wenn Sie deutlich erkennbare Fortschritte machen und ich sehe, dass Sie anfangen, das Französische nicht mehr wie ein leidiges Übel zu betrachten, sondern als gute Freundin und ein Vergnügen, dann steht einer guten Note nichts im Wege.«
    Sprachlos starrte Benny ihn an. »Das ist …«
    »Das ist ein Vertrauensvorschuss, Mister Reutter, weil ich davon ausgehe, dass Sie sich ernsthaft bemühen werden. Nun laufen Sie. Wenn ich mich nicht irre, gibt es gleich Abendessen.«
    Auf dem Weg zum Schweinetrog, wie auf Glen der Trakt mit den Speisesälen genannt wurden, fühlte sich Benny eigenartig leicht und beschwingt. Als er in sich hineinlauschte, fand er dort etwas, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte – ein schwaches Echo des Ehrgeizes, den er einmal gehabt hatte. Das war sehr viel mehr, als er seit gut einem Jahr empfunden hatte, wenn es um die Schule ging.
    »Die Schönheit der französischen Sprache«, murmelte er und bemühte sich aufrichtig um die gewohnte Verdrossenheit. »Eine gute Freundin und ein Vergnügen. Bücher lesen. Sprechen. AG am Sonntag. Sonst noch was? Ich habe ja schließlich nur ein einziges Fach, um das ich mich kümmern muss.«
    Ein Windzug wehte an seiner Wange vorbei, es war, als würde ihn ein langer, kalter Finger streicheln.

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