Die Feen - Hallmann, M: Feen
schüttelte er den Kopf und ließ ihn von da an links liegen.
Gil Darcy war ebenfalls in dem Kurs, er gluckte eng mit einem anderen, ähnlich quadratisch gebauten Jungen zusammen, der Denver hieß – zuerst hielt Benny das für seinen Nachnamen, bis Mister Perez ihn am Ende der Stunde kräftig zusammenpfiff und im Lauf seiner Schimpftirade mehrfach »Señor Colton« nannte. Mister Perez’ cholerischer Anfall trug nicht gerade dazu bei, dass sich Benny mehr für die Spanisch-Stunden erwärmte. Möglicherweise, dachte er, als er glücklich entronnen den Gang entlangtrabte, wäre es eine gute Idee, ein bisschen was nachzuholen. Wann genau er das tun sollte, war ihm noch nicht ganz klar, aber nötig war es, so viel stand fest.
»Hey, Reutter.«
Benny blieb stehen und sah die quadratischen Herren Darcy und Colton auf sich zumarschieren. Darcy blieb bei ihm stehen, während Colton mit knappem Gruß weiterstapfte. Er grinste. »Wohin rennst du denn so eilig? Hast du wieder eine Verabredung mit Miss Fish?«
Benny hob fragend die Brauen.
»Na ja«, sagte Darcy. »Ich hab gehört, du warst über eine Stunde bei ihr.« Er wackelte vielsagend mit den Augenbrauen, was eigenartig aussah, weil er fast keine hatte.
»Bibliografieren«, sagte Benny und spürte Hitze in seinem Gesicht aufwallen. »Sie hat mir gezeigt, wie man bibliografiert.«
»Ach«, amüsierte sich Darcy. »So nennt man das also. Wusstest du, dass Graham sie mal nackt gesehen hat?«
»Was?«
»Ja doch! Am See. Er war morgens mal laufen, da kommt sie gerade ans Ufer geschwommen und zieht sich an. Hat so getan, als ob sie ihn gar nicht bemerkt hätte.«
»Vielleicht hat sie ihn nicht bemerkt.«
»Blödsinn.« Darcy machte eine wegwerfende Handbewegung. »Klar hat die ihn bemerkt. Hat ihr gefallen, wetten? Manche mögen’s doch, beobachtet zu werden. Graham sagt, sie hat echt geile …«
»Ich muss lernen«, unterbrach ihn Benny brüsk.
»Pffft«, machte Darcy. »Sag mal – bist du zehn, oder was? Sag bloß, du hast noch nie die …«
»Ich muss wirklich lernen«, knurrte Benny. »Hast du doch eben gesehen, oder?«
»Möpse, Titten, ficken«, sagte Darcy. »Macht dich das verlegen? Arsch, Titten …«
»Titten war doppelt.«
»Ist ja auch besser so.« Darcy feixte. »Was soll man mit einer allein?« Er musterte Benny, seufzte, als er begriff, dass der nicht darauf einstieg, und erklärte: »Am Sonntag haben wir eine AG . Vielleicht hast du ja Lust?«
»Nötig wär’s«, stimmte Benny resigniert zu. »Was macht ihr denn da?«
»Bisschen auf Spanisch quatschen. Unterrichtsstoff nochmal durchkauen. Halt so Zeug. Vor allem quatschen. Ist ganz nett.«
»Und wann?«
»Nach dem Abendessen im Gemeinschaftsraum.«
Benny nickte zögernd. »Ich hab Stalldienst, aber wenn ich mich beeile …«
»Schneller essen.« Darcy zeigte ihm sein dickes rosa Zahnfleisch. »Komm einfach vorbei.«
In Wirtschaft wurden Firmen gegründet. Mister Ross, der auch Geschichte und Politik unterrichtete, war ordentlich in Schwung. »Sortiert euch«, sagte er gleich zu Beginn der Stunde. »Wir werden in den nächsten Wochen schauen, mit welchem Konzept man am ehesten durchkommt. Unsere Strategien sind: vorsichtig, aggressiv, kooperativ, chaotisch-kreativ und strategisch.« Mit dem breitbeinigen Gang eines langjährigen Motorradfahrers marschierte er herum und befestigte fünf verschiedenfarbige Pappen an den Wänden, auf denen die Namen der Strategien zu lesen waren. »Aggressiv« war ferkelrosa, was große Heiterkeit auslöste. »Beschwert euch bei Mrs. Lieberstein«, empfahl Mister Ross ungerührt. »Sie hat den gesamten Jahresvorrat an roter Pappe für irgendein Projekt mit der zweiten Klasse an sich gerissen und behauptet, es müssten noch mal so viele nachbestellt werden. Vermutlich verkleiden sie die halbe Burg rot. Und die andere Hälfte hellgrün, die Pappen sind nämlich auch weg. Stellt euch also vor, die rosa Pappen wären rot, und die Schrift auf der dunkelgrünen Pappe könnte man lesen.«
An jeder Pappe waren fünf kleine Karten befestigt. »So«, sagte Mister Ross, kehrte zu seinem Pult zurück, setzte sich halb darauf und schaukelte mit dem frei schwebenden Fuß. »Jetzt möchte ich, dass ihr alle einmal in euch geht. Ernsthaft und selbstkritisch. Welche Strategie verfolgt ihr selbst in eurem Leben? Ich weiß, das ist schwierig, ihr seid noch jung. Trotzdem habt ihr Tendenzen. Der eine benutzt gern die Ellbogen, der andere fragt eher nach Hilfe, wenn er
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