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Die Feen - Hallmann, M: Feen

Die Feen - Hallmann, M: Feen

Titel: Die Feen - Hallmann, M: Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maike Hallmann
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ein Aufatmen ging es durch sie beide. Seit Grau sie zum ersten Mal mitgenommen hatte, glaubte Leslie, dass er in dieser Gestalt in die Welt gekommen war. Vielleicht war er aus der Trauer eines früheren Burgherrn über den Tod seines Lieblingshunds Gestalt geworden. Trauer, fand sie, passte zu Grau. Traurigkeit zog ihn an, und es tat gut, das Gesicht in seinem grauen Fell zu verbergen.
    Jetzt war nicht viel Platz für Trauer. Zu behaglich war es, die stumpfen, dicken Krallen auf dem Asphalt klicken zu hören, als sie aufs Dorf zutrabten, zu schön das Kitzeln des Winds, der das dichte, raue Fell zauste. Gerüche drangen auf sie ein. Wenn Grau Hund war, dann war er es ganz. Leider so sehr, dass er auch weggeworfene Lebensmittel einsammelte. Glücklicherweise fanden sie auf dem Weg nur ein Stück Papier, das einmal einen Kaubonbon eingehüllt hatte und ausgiebig beschnüffelt wurde, und eine dicke Schnecke, auf deren Genuss Grau nach einiger Überlegung verzichtete.
    Das letzte Stück zum Dorf rannten sie in gestrecktem Galopp. So sah man Grau selten. Es war Leslies Übermut, von dem er sich anstecken ließ, die langen Glieder streckten sich herrlich weit, und der Gedanke an den Tod war weit fort. So weit fort, wie er eben sein konnte, wenn seine Abwesenheit einem auffiel.
    »He, Grau«, rief Mullen, der Schlachter, als sie ins Dorf einbogen und mit riesigen Sätzen an ihm vorbeistoben. Wahrscheinlich hatte er etwas für ihn, er legte gern etwas zurück für das Wesen, das er für Ginger McGowans Hund hielt. Aber sie hatten keine Zeit für ihn. Leslie hatte Sehnsucht nach Gin. Die Tür des Supermarkts ging nach innen auf, sie richteten sich mannshoch auf, drückten die Pfoten dagegen und fielen sozusagen mit der Tür ins Haus. Gins freundlicher Duft stieg ihnen in die Nase, ein sauberer Geruch nach frischer Baumwolle und Holzrauch. Sie trabten auf die Quelle des Dufts zu und fanden Gin neben dem Obstregal im Gespräch mit Mariah Logan.
    In Leslies Erinnerung war Mariah schon immer alt gewesen. Natürlich wusste sie, dass die Mariah, die jetzt vor ihr stand – oder vielmehr vor Grau –, nicht mehr dieselbe Frau war, die sie als Säugling in den Armen gehalten und sich in den runden Hüften gewiegt hatte, bis die kleine Miss Leslie einschlief, und die mit eiserner Entschlossenheit Staub im Hause MacGregor gejagt und exekutiert hatte, bis auch der verborgenste prankenförmige Fuß des winzigsten Tischs im allerentlegensten Winkel des Anwesens glänzte, als ginge es auf eine Parade. Diese Mariah Logan war wirklich alt. Vorletzten Sommer hatte sie sich bei einem leichteren Sturz die Hüfte gebrochen, und es war, als sei dieser Bruch wie ein Sprung in einer wertvollen alten Kristallkaraffe, der sich immer weiter verzweigte und zusehends das ganze Gefäß überzog. Mariah war gebrechlich geworden. Als Leslies Schmerz ihn jäh überkam, winselte Grau leise. Trostsuchend drängten sie sich an Gin und schoben die große Schnauze unter ihre Hand.
    »Ach, sieh an. Hallo, Grau!«, sagte Mariah freundlich.
    Gin hingegen schaute sie erschrocken an. Ein Blick in Graus Augen genügte ihr, und sie wusste, dass er nicht allein gekommen war. Besorgnis verdunkelte ihre Augen. Zum Zeichen, dass alles in Ordnung war, wedelten sie und leckten ihr die Hand, dann rollten sie sich behaglich neben der Kasse zusammen und lauschten den Stimmen der beiden Frauen. Mariah erkundigte sich, wie es Leslie ginge, und bemerkte, sie habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Etwas beschämt beschloss Leslie, sie in den nächsten Tagen zu besuchen. Früher war sie oft bei ihr gewesen, aber jetzt wusste sie nicht genau, wie lange ihr letzter Besuch zurücklag. Es mussten Wochen vergangen sein.
    Gin traute dem Frieden nicht. Immer wieder schaute sie zu ihnen herüber. Zu der Besorgnis gesellte sich Ärger. Und wo liegst du jetzt herum?, fragten ihre Augen. Wer passt auf deinen Körper auf, den du in deinem Übermut einfach verlassen hast?
    Grau und Leslie gähnten sie an. Ist doch egal, dachte Leslie. Mit einem tiefen Hundeseufzer drehten sie sich auf die Seite, streckten sich lang auf dem kühlen Linoleum aus und schliefen ein.
    Auf dem Rückweg war Gin ungehalten. Es war bereits dunkel, in der Luft lag die leichte Ahnung von nächtlichem Schnee, der am Morgen bereits wieder geschmolzen sein würde. Gin stampfte wütend voran, sie wollte so schnell wie möglich nach Hause. »Kein Weihnachtsgeschenk dieses Jahr«, versprach sie. »Und keine Kekse. Dafür den

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