Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
Vom Netzwerk:
kritzelte in ihr Notizbuch. Als sie fertig war, blickte sie ihm wieder
     in die Augen. In diesem Moment wusste er, dass sie anders war als andere Kinder in ihrem Alter. Nicht, dass er irgendwelche
     anderen gekannt hätte, aber er merkte sehr deutlich, dass diese April ihren eigenen Kopf hatte. Das war keine, die wartete,
     bis irgendein hirnrissiger TV-Moderator ihr erklärte, wie sie sich zu fühlen hatte, und außerdem hatte sie im Gegensatz zu
     ihrer Mutter im gleichen Alter keine Angst vor ihm. Bei dem Gedanken an Marcy fing Bill an, unruhig in seinem Sessel herumzuzappeln.An dieser Tatsache gab es nichts zu deuteln, und warum auch? Seine eigene Tochter hatte früher Angst vor ihm gehabt.
    »Was hat das mit diesen Lebensweisheiten auf sich?«, fragte er. April verdrehte die Augen.
    »Du meinst, warum ich hier bin?«, fragte sie. »Wegen eines Referats. Lebensweisheiten von meinem Mentor? Ich habe doch neulich
     Abend angerufen, erinnerst du dich? Da habe ich dir von dieser dämlichen Hausaufgabe erzählt, und danach hat meine Mutter
     mit dir gesprochen und dir gesagt, sie würde mich für ungefähr eine Stunde bei dir absetzen, während sie einem Kunden ein
     Haus zeigt. Derweil könnte ich dich sozusagen interviewen.«
    Manchmal purzelten irgendwelche halb verschütteten Erinnerungen so schnell auf Bill ein wie jetzt die Worte aus Aprils Mund.
     Und als ihm jetzt wieder das Gespräch mit April einfiel und dann das Gespräch mit Marcy, kam es ihm vor, als ströme eine warme
     Woge von seinem Kopf bis hinunter in den Bauch.
    »Du betrachtest mich also als deinen Mentor?«
    April schaute zu Bill hoch. »Nein, aber du bist der älteste Mensch, den ich kenne.«
    Bill schwieg.
    »Unsere Abmachung«, erinnerte ihn April.
    Bill lächelte unwillkürlich. »Schon klar. Hört sich nach einer interessanten Aufgabe an. Besser als ein Aufsatz über safer
     sex oder all das andere Zeug, das sie euch heutzutage in der Schule beibringen.«
    »Bitte, Grandpa. Das ist ja ekelhaft.«
    »Sex ist ekelhaft?«
    »Wenn alte Leute darüber reden.«
    »Verstehe.«
    Bill erinnerte sich wieder, dass er mit April am Telefon gesprochenhatte. Er erinnerte sich auch an ihren letzten Besuch hier. Er erinnerte sich an die weißen Ohrstöpsel und dass sie herumgemault
     hatte, dass sie die Zeitungen zusammengeschnürt und ihn über sein Auto ausgefragt hatte. Wie aufgeregt sie gewesen war bei
     der Vorstellung, damit die Auffahrt hinauf und hinunter kutschieren zu können, bis ihre Mutter die Idee im Keim erstickt hatte.
     Es war gut, wenn man sich an Sachen erinnerte – und nicht nur an solche, die zwanzig oder dreißig Jahre zurücklagen. Wann
     immer er sich erinnerte, hätte Bill am liebsten getanzt.
    »Welches Fach?«
    »Häh?«
    »Für welches Fach ist dieser Aufsatz über Lebensweisheiten?«
    »Für Englisch natürlich«, antwortete April, aber Bill hatte ihr Zögern schon bemerkt.
    Am liebsten hätte er sie dafür umarmt. »Schon unsere Abmachung vergessen?«, fragte er.
    April glotzte ihn an.
    »Du musst eigentlich gar keinen Aufsatz schreiben, stimmt’s?«
    Sie wurde rot.
    Bill lachte. »Deine Mutter war auch eine ganz schlechte Lügnerin. Aber sie war nicht so erfinderisch. Nicht annähernd.«
    Er griff in seine Hosentasche, zog die Autoschlüssel hervor und ließ sich vor sich hin und her baumeln.
    »Bereit für Lebensweisheit Nummer drei?«, fragte er.
    Die Sonne, die durch das Vorderfenster hereinflutete, ließ einen der Schlüssel aufblitzen und schickte Funken an die Wände,
     an die Decke und in Aprils aufgerissene braune Augen.

7
    Es war nur den Farben der verwelkenden Blätter zu verdanken, dass Mike Warrington die erstaunlich hohe Anzahl von Bäumen registrierte,
     welche die Hauptstraße von Cranston, Illinois säumten. Cranston war immer ein Kaff gewesen, hatte sich aber in den achtziger
     Jahren immerhin zu einem bescheidenen Zentrum für die Werkzeugherstellung gemausert, dessen Firmen jedes große Unternehmen
     in Amerika mit Teilen belieferten. Jetzt beherbergte es nur noch zwei größere Arbeitgeber. Einen konnte Mike von seiner Nische
     im Waffle House aus sehen, ein Callcenter für einen Versicherungsmulti mit Sitz an der Ostküste. Es befand sich im ehemaligen
     Einkaufszentrum eines Elektronik-Discounters. An der Theke des Waffle House ging das Gerücht, dass die 250 Arbeitsplätze,
     hauptsächlich im Besitz von Einheimischen mit bestenfalls einem Highschool-Abschluss, demnächst verlagert werden sollten,
    

Weitere Kostenlose Bücher