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Die fernen Tage der Liebe

Die fernen Tage der Liebe

Titel: Die fernen Tage der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James King
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alle noch präsent. Was hätte er da für Geschichten erzählen können! Denn
     am Ende waren Geschichten ja das Einzige, was einem noch blieb.
    Sie blieben noch eine weitere halbe Stunde dort sitzen. Die Sonne sank bereits am Horizont. Bill schaute noch ein letztes
     Mal in Richtung Aufgang 8, dann ließ er den Motor an.
    Schweigend fuhren sie zu dem Hotel, das Bill für ihre erste Nacht unterwegs ausgesucht hatte.

15
    April machte es nichts aus, dass sie auf ihren Großvater warten musste. Solange sie am Steuer saß, wurde ihr die Zeit nicht
     lang, nicht einmal an heruntergekommenen Tankstellen in irgendeiner gottverlassenen Gegend. Im Moment war diese gottverlassene
     Gegend eine Nebenstraße irgendwo in Illinois, ein paar Stunden von Chicago entfernt.
    Eines Tages würde sie nach Chicago zurückkehren, das hatte sie sich geschworen. Sie waren zwar nur durchgefahren, aber ihr
     Großvater hatte darauf bestanden, dass April die Stadt zumindest einmal zu Gesicht bekam, wo sie schon so nah dran waren.
     Ein Glück, fand April. Sie wusste gar nicht, wo sie zuerst hinschauen sollte: auf das schier endlose Ufer und das blaue Wasser
     des Michigansees zu ihrer Rechten oder den Wald von Wolkenkratzern zu ihrer Linken. Allmählich dämmerte ihr, dass sie echte
     Wolkenkratzer bis jetzt eigentlich noch nie zu Gesicht bekommen hatte, jedenfalls noch nicht solche, wie sie hier an diesem
     See, der selbst so groß wie ein Meer war, aufgereiht standen, als wollten sie sagen: »Das hier ist nicht einfach irgendeine
     Aussicht, Baby. Das ist Chicago!«
    »Echt cool«, rief sie ihm zu, aber ihr Großvater, der in Indiana wieder das Steuer übernommen hatte, antwortete nicht. April
     sah, dass er sich auf dem Fahrersitz vorgelehnt hatte und sich so fest ans Lenkrad krallte, als würde er sonst durch das Dach
     nach oben gezogen und auf den überfüllten Highway geschleudert werden.Sie hatte ihn noch nie so nervös erlebt. Normalerweise machte er im Auto einen souveräneren Eindruck als außerhalb, griff
     beim Lenken gelassen über und demonstrierte, wie man richtig in die Außen- und Innenspiegel schaute, mit besonderem Augenmerk
     auf den toten Winkel, damit man nicht übereilt die Fahrspur wechselte. Aber während April sich nun umdrehte, um den Sears-Tower
     zu bestaunen, schien er nur Augen für die Autos direkt vor ihnen zu haben. April bezweifelte, ob er überhaupt bemerkt hatte,
     dass er praktisch mitten auf einem der Großen Seen fuhr. Wahnsinn! Als sie ihn fragte, ob es ihm gut ginge, herrschte er sie
     an, die Klappe zu halten, damit er sich darauf konzentrieren konnte, dass sie nicht umkamen.
    Schließlich hatten sie es heil überstanden, nach den Flüchen ihres Großvaters zu urteilen allerdings nur knapp. Er war noch
     zwei Stunden weitergefahren und hatte an eben dieser Tankstelle haltgemacht. Dann hatte er erklärt, er müsse mal für kleine
     Jungs und sie sei »an der Reihe«. Während er also aufs Klo marschiert war, hatte sie schon einmal den Fahrersitz in Beschlag
     genommen.
    April beschloss, dass sie sich unbedingt einen unverwechselbaren Look zulegen musste, bevor sie nach Kalifornien kamen. In
     einem beknackten Chevy Impala herumzugurken, war zwar nicht gerade der ideale Start, aber Schwamm drüber. Mit der rechten
     Hand umfasste sie das Lenkrad von oben und legte ihren linken Arm auf die Scheibe, so dass der Ellbogen herausragte.
Zu männlich
. Sie versuchte es mit links auf zehn Uhr und rechts auf vier Uhr.
Zu tantenhaft.
Sie versuchte es nochmal mit der auf dem Lenkrad ruhenden Hand, aber diesmal mit Ellbogen innen auf dem Türgriff-Gehäuse ruhend.
     Sie legte die Fingerspitzen auf das Lenkrad und schob den Daumen darunter, um besser steuern zu können.
Bingo.
Die Leute würden sehen, dass sie amSteuer saß, aber das Lenken war eigentlich nur nebensächlich, weil sie eigentlich ganz andere Gedanken im Kopf hatte – ihre
     Songtexte nämlich. Das war der Unterschied zwischen Ellbogen draußen und Ellbogen drinnen. Ellbogen drinnen war gedankenvoll,
     gewandt, wichtig. Ellbogen draußen war angeberisch, amateurhaft, beknackt.
    April rülpste. Sie und ihr Großvater hatten in der letzten Zeit in zu vielen Buden mit fettigem Fastfood gegessen. Ihre Mutter
     würde die Krise kriegen, wenn sie wüsste, was für einen Mist sie alles in sich hineingestopft hatten: Burger, Fritten, Bratkartoffeln,
     Pepsi mit Rühreiern. Aber sie konnte ja nichts dafür, das Restaurant suchte immer Grandpa aus. Und der war

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