Die Festung der Perle
Jetzt sah Elric zum ersten Mal das Gesicht des Gegners. Es war hager und blutlos. Die Augen wirkten wie die eines schon lange toten Fisches, und das schmallippige Maul war zu einer höhnischen Grimasse verzogen. Aber dennoch ähnelte er, wie Elric zu seinem Entsetzen feststellen mußte, Alnac Kreb! Die Lanze sauste herab und fegte Oone zu Boden.
Noch ehe die Lanze wieder oben war, schlug Elric mit dem Schwert gegen den Sattelgurt des Pferdes. Diesen alten Trick hatte er von vilmirischen Banditen gelernt. Doch diesmal gelang er ihm nicht. Die Beinschiene war im Weg. Dem nächsten Lanzenstoß wich er geschickt aus, wodurch Oone freie Bahn hatte.
Obgleich Elric und Oone wie eine Person kämpften, schien ihr Feind allwissend zu sein. Er ahnte jede ihrer Bewegungen im Voraus.
Elric fing langsam an zu glauben, daß der Reiter ein durch und durch übernatürliches Wesen sei. Verzweifelt sandte er seine Gedanken in jenseitige Reiche und suchte dort nach Hilfe. Doch es war vergeblich! Es hatte den Eindruck, als seien die Reiche verlassen und über Nacht alle Elementargeister, Dämonen und Geister daraus in die Vorhölle verbannt. Arioch würde ihm nicht helfen können! Hier war seine ganze Zauberkunst nutzlos.
Oone stieß einen lauten Schrei aus. Sie war gegen die unterste Stufe geschleudert worden. Trotz allem Bemühen kam sie nicht wieder auf die Füße. Sie war wie gelähmt. Die Glieder versagten ihr den Dienst.
Da lachte der Reiter wieder höhnisch und bereitete den Todesstoß vor.
Elric stürmte mit dem alten Kriegsschrei auf den Feind los, um ihn abzulenken. Dem Albino blieb fast das Herz stehen bei dem Gedanken, der Frau, für die er nicht nur kameradschaftliche Freundschaft, sondern auch tiefe Liebe empfand, könnte ein Leid geschehen. Er war bereit, für ihre Rettung sein Leben hinzugeben.
»Arioch! Arioch! Blut und Seelen!«
Aber er hatte kein Runenschwert, das ihm half. Nur seinen Verstand und sein Können.
»Alnac Kreb! Ist das alles, was von dir geblieben ist?«
Fast unwirsch schleuderte der Reiter die Lanze nach dem Albino. Das war seine Antwort.
Darauf war Elric nicht vorbereitet. Er wollte sich beiseite werfen, doch der Lanzenschaft traf seine Schulter und warf ihn in den Staub. Dabei fiel ihm auch noch das Schwert aus der Hand. Auf allen vieren kroch er darauf zu, als er sah, wie der Reiter sein Langschwert zückte und auf die hilflose Oone zuritt. Elric richtete sich auf und warf mit letzter Verzweiflung den Dolch. Er hatte so genau gezielt, daß die Klinge zwischen die Plättchen der Rüstung dem Reiter in den Rücken drang. Das schon gezückte Schwert fiel zu Boden.
Jetzt hatte Elric sein Schwert aufgehoben. Doch zu seinem Entsetzen sah er, wie der Reiter weiter auf Oone zustürmte. Die Wunde schien ihm überhaupt nichts auszumachen.
»Alnac?«
Erneut versuchte Elric den Teil zu erreichen, der noch von Alnac Kreb übrig war. Doch der Reiter beachtete ihn nicht im geringsten. Sein höhnisches Gelächter erdröhnte. Das Pferd schnaubte und stieg hoch. Seine Hufe zielten auf die Frau, die sich verzweifelt auf den Stufen wand.
Ohne sich seiner eigenen Bewegung bewußt zu sein, war Elric plötzlich hinter dem Reiter und sprang ihn an. Er krallte sich am Rücken fest und zerrte mit aller Kraft, um ihn vom Pferd zu reißen. Grollend drehte dieser sich um und führte einen Schlag gegen den Albino. Doch dieser parierte die surrende Klinge und packte den Feind. Diesmal schaffte er es, ihn aus dem Sattel zu heben. Beide fielen dicht neben Oone zu Boden. Elrics Schwerthand wurde unter dem gepanzerten Rücken des Gegners eingeklemmt. Es gelang ihm jedoch, mit der Linken den Dolch zu packen. Schon wollte er die Spitze in eines der widerlichen toten Augen stoßen, als sich die Finger des Mannes wie eine Klammer um sein Handgelenk schlossen.
»Du mußt erst mich besiegen, bevor du ihr etwas antun kannst!« Elrics sonst so melodische Stimme klang heiser vor Haß. Doch der Krieger lachte wieder nur. Alnacs Geist schwand aus seinen Augen.
Sie kämpften verbissen, ohne daß einer Vorteile erringen konnte. Elric hörte sein eigenes Keuchen und das Grunzen des Kriegers, das Wiehern des Pferdes und das Stöhnen Oones, die immer noch versuchte, aufzustehen.
»Perlkrieger!«
Es war eine fremde Stimme. Nicht Oones, aber die einer Frau. Sie klang sehr gebieterisch.
»Perlkrieger! Du darfst diesen Reisenden nichts mehr zuleide tun!«
Der Krieger knurrte, aber er ignorierte die Stimme. Seine Zähne schnappten nach
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