Die Festung der Perle
dicken Eichen verschanzt, bereit sich zu verteidigen, sobald der Reiter angriff.
Das Pferd bäumte sich auf und wieherte und schnaubte mit der gleichen sinnlosen Wut wie sein Herr. Elric schoß aus der Deckung hervor, hob den Speer auf und stach ihn gekonnt in die Lücke zwischen Brustplatte und Kinnschutz. Die Spitze bohrte sich in die Kehle des Angreifers.
Erst hörte man ein unterdrücktes Keuchen und dann das schon vertraute höhnische Lachen. Der Reiter wendete und galoppierte auf dem Weg durch den Wald davon. Er schwankte und zuckte wie im Todeskampf, blieb jedoch fest im Sattel.
Wie erstarrt blickten Elric und Oone ihm hinterher.
Elric zitterte. »Hätte ich ihn nicht selbst auf der Brücke von Sadanor sterben sehen, würde ich schwören, daß es derselbe Mann war, der mich dort angriff. Er sieht ihm verblüffend ähnlich.«
»Du hast ihn nicht sterben sehen«, widersprach Oone. »Du sahst nur, wie er von der Brücke stürzte.«
»Aber jetzt ist er tot, glaube ich. Den Streich kann er nicht überleben. Ich habe beinahe den Kopf abgetrennt.«
»Ich bezweifle es«, sagte die Traumdiebin. »Ich bin überzeugt, daß er unser mächtigster Feind ist und wir erst kurz vor der Festung der Perle richtig gegen ihn kämpfen müssen.«
»Du meinst, er schützt die Festung?«
»Das tun viele.« Sie umarmte ihn schnell. Dann bückte sie sich, um nach dem toten Grafen von Magnes Doar zu sehen. Dieser wurde jetzt immer menschenähnlicher. Schon färbte sich das Fell an den Händen und im Gesicht grau, auch sein Fleisch schien weniger zu werden. Der Messinghelm verfärbte sich zu schmutzigem Silber. Elric wandte die Augen ab. Es erinnerte ihn zu sehr an Alnacs Tod.
Auch Oone erhob sich. Tränen standen in ihren Augen.
Sie galten jedoch nicht dem Grafen. Elric nahm sie liebevoll in die Arme. Plötzlich sehnte er sich nach jemandem, an den er sich kaum erinnern konnte, jemand aus alter Zeit, aus Jugendträumen, jemand, der vielleicht nie existiert hatte.
Ihm kam es so vor, als zitterte Oone leicht, als er sie in die Arme schloß. Er gab sich Mühe, eine Erinnerung heraufzuholen, in der es ein kleines Boot gab, in dem ein blondes Mädchen schlief. Das Boot trieb ins offene Meer hinaus. Er selbst folgte in einem Ruderboot, voller Stolz fühlte er sich als Retter. Dabei war er sicher, daß er dieses Mädchen nie gekannt hatte. Aber Oone erinnerte ihn an dieses Mädchen. So mußte es als Erwachsene aussehen.
Stöhnend entwand sich Oone seinen Armen. »Ich dachte, du seist… mir war so, als würde ich dich schon immer kennen …«Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Oh, dieses verdammte Land trägt seinen Namen zu recht, Elric!«
Elric konnte ihr nur beipflichten.
»Aber welche Gefahr birgt es für uns?« fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. »Wer weiß? Viele, wenige, gar keine? Die Traumdiebe sagen, daß das Land Vergessener Liebe das ist, in dem die wichtigsten Entscheidungen getroffen werden. Entscheidungen, die von monumentaler Bedeutung sein können.«
»Demnach sollte man hier wohl keine Entscheidungen treffen?«
Sie strich ihm durch das lange Haar. »Zumindest sollten wir uns darüber klar sein, daß die Folgen sich womöglich lange nicht zeigen werden.«
Hand in Hand gingen sie weiter durch den Baumtunnel. Den toten Kaninchenkrieger ließen sie zurück. Von Zeit zu Zeit bemerkte Elric Gesichter hinter den Bäumen, die sie beobachteten. Einmal war er sicher, seinen toten Vater Sadric zu sehen, der Elrics Mutter betrauerte, den einzigen Menschen, den er je aufrichtig geliebt hatte. Er sah die Gestalt so deutlich, daß er ihn laut anrief.
»Sadric! Vater! Ist dies hier deine Vorhölle?«
Doch Oone schrie ihn an. »Nein! Sprich ihn nicht an! Hol ihn nicht zu dir! Mach ihn nicht real! Es ist eine Falle, Elric!«
»Mein Vater?«
»Hast du ihn geliebt?«
»Aye. Allerdings war es eine unglückliche Liebe.«
»Daran mußt du immer denken! Bring ihn nicht her! Es wäre unschicklich, ihn in diese Galerie von Trugbildern zu rufen.«
Elric verstand, aber er brauchte seine ganze, durch lange Zeit erworbene Selbstbeherrschung, um sich von dem Schatten seines Vaters zu befreien. »Ich wollte ihm sagen, wie sehr ich seine Trauer und sein Leid teile, Oone.« Der Albino schluchzte. Sein Körper bebte unter dem Ansturm von Gefühlen, gegen die er sich schon längst gefeit glaubte. »Ach, Oone, ich wäre gern gestorben, wenn ihm das die Gattin wiedergeschenkt hätte. Gibt es keine Möglichkeit …«
»Solche Opfer
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