Die Festung des Teufels
erzeugten, um den ganzen Planeten auszulöschen. Slye mochte jedenfalls keine Pferde. In Namibia gab es keine Yaks, aber als er jetzt in die dunklen Tiefen dieses riesigen Forts mit seinen nackten Felswänden, höhlenartigen Räumen und tiefen Unterbauten hinabstieg, wurden andere unangenehme Erinnerungen in ihm wach.
Geräuschlos wie eine Träne, die an einer Wange hinunterläuft, glitt der gläserne Fahrstuhl in dem Felsenschacht abwärts. Ein kaum hörbares Ping und dann ein freundliches, fast liebevolles Flüstern der elektronischen Frauenstimme sagten ihm, dass er auf der untersten Ebene angekommen war. »Kellergeschoss.Turbinenstation links, seismologische Abteilung geradeaus, Folterzellen rechts. Ich wünsche einen guten Tag.«
Shaka Chang hatte diese Festung zu einer Hightech-Station umbauen lassen, aber für Slyes Geschmack klang die Engelsstimme dieser Frau einfach zu … nett. Ein besseres Wort dafür fiel ihm nicht ein. Nett. Ein abscheuliches Wort. Nichtssagend und kraftlos. Langweilig. Und ärgerlich. Wirklich nicht sehr nett, fand er.
Er folgte den Lichtpunkten am Fußboden, ähnlich denen in einem Flugzeug, die im unwahrscheinlichen Fall einer technischen Störung oder eines Absturzes den Weg zu den Notluken wiesen. Aber hier unten gab es keine Notluken. Hierhin wurde man von Mr Chang geschickt, wenn man vom Leben nicht mehr viel zu erwarten hatte. Hier war man so gut wie tot, kein Mensch würde einen hier finden.
Ihm schauderte bei diesem Gedanken, als er den Korridor hinunterschritt. Das Luftfiltersystem funktionierte hier unten nur in ausgewählten Bereichen, und er roch die durchsickernden Ausdünstungen der Flusswasserpfützen in der Turbinenkammer, die von der nächsten Flut wieder fortgespült werden würden. Er legte seine Hand auf den Sensor zur Handflächenerkennung; die Glastür vor ihm öffnete sich, und er trat in den nächsten Korridor. Wieder verkündete die sanft flüsternde Frauenstimme seine Ankunft: »Mr Lucius Slye hat den Kontrollbereich betreten.«
Ein Mann mit so kurzen Beinen, dass ihm sein weißer Kittel fast bis zu den Füßen reichte, trat in den Korridor und strich sich nervös durch den Bart, während Slye auf ihn zuschritt. Professor Doktor Ilja Schernastyn ärgerte sich über die täglichen Besuche, die Slye ihm abstattete. Obwohl er sich alle Mühe gab und Mr Chang regelmäßig Berichte zukommen ließ,schickte der ihm ständig diesen Aufpasser herunter, der ihm Anweisungen erteilte und sich nach dem Zustand des Patienten erkundigte. Patient, nicht Gefangener. Wie absurd Worte doch manchmal sein konnten. Er war Arzt, und der Mann in seiner Obhut wurde gefoltert. Nicht körperlich – kein Blut, keine Gewalt –, nur Drogen. Aber diese Drogen konnten so zermürbend sein wie Schläge. Chemikalien, die in die Körperzellen eindrangen, verborgene Wege ins Gehirn fanden und das Bewusstsein veränderten, während sie nach der Wahrheit suchten.
Schernastyn hatte sich den Fehler niemals verziehen, den er vor dreißig Jahren begangen hatte. Damals war er ein aufgehender Stern am Firmament der russischen Ärzteschaft gewesen, und er hatte geheime Erkenntnisse aus der Nanozellenforschung an eine Frau verkauft, die er begehrte. Er hatte seinen Beruf und sein Land verraten, und das alles aus Liebe zu einer Frau, die sich schließlich als amerikanische Spionin entpuppte. Wäre Mr Chang nicht gewesen, hätten die Russen ihn durch den Fleischwolf gedreht und an die Hunde verfüttert. Bedauerlicherweise verdankte er Shaka Chang also sein Leben, ein Leben, so glaubte Schernastyn, das sein volles Potential noch längst nicht ausgeschöpft hatte – für ihn war die Arbeit für Chang nur eine weitere Station auf dem Weg zur Verwirklichung seiner eigenen Ziele. Und da Schernastyn wusste, welchen Einfluss Slye besaß, war er immer höflich zu ihm.
»Genosse Slye. Willkommen.«
Ohne ihn zu beachten, klappte Slye seinen Organizer auf, klickte den Terminkalender an und notierte seine Ankunftszeit. Slye wusste immer gern auf die Minute genau, wo er war, selbst wenn er bereits da war. Er sah Schernastyn an. Worte waren überflüssig, sein Blick war Befehl genug. Schernastyn nickte und drehte sich um. Er legte seine Hand auf einen Sensor,und eine Stahltür glitt auf und führte in einen spartanisch eingerichteten Raum, der die eisige Entschlossenheit des Mannes verriet, der hier unten das Sagen hatte – Schernastyn. Ein Bett, eine Stahltoilette, ein Waschbecken und ein unrasierter Mann in
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