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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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bescheidenen Ort beherbergen zu dürfen, sagte sie zum Abschied. Ich versprach, sie bei Gelegenheit zu besuchen, ohne die Absicht, dieses Versprechen jemals einzulösen.
    Bestens gelaunt ging ich zurück zum Kunstareal 798, um ein wenig zu flanieren. Das 798 hatte sich innerhalb von zehn Jahren stark verändert, inzwischen verbanden sich hier Bohème und Bourgeoisie auf eine sehr westliche Art miteinander. Natürlich rief das auch Kritiker auf den Plan, die eine zunehmende Gentrifizierung sowie eine immer kommerziellere und touristischere Ausrichtung des Areals beklagten. Dabei brauchte man es bloß ganz unaufgeregt von der anderen Seite her zu betrachten, um zur Einsicht zu gelangen: Ein kommerzialisiertes 798 war immer noch besser als gar kein 798. Einen Künstlerbezirk dieser Größe gab es nur einmal auf der Welt. Ausländer kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, wenn sie das riesige Areal sahen, sie erlitten einen regelrechten Kulturschock: Ihr Bild von China, das sie bislang als rückständiges Entwicklungsland gesehen hatten, drehte sich um 180 Grad, und sie sahen es nun als kreativste Nation der Welt. Der chinesische Wirtschaftsboom der vergangenen zwei Jahre hatte eine gewaltige Nachfrage nach Kunst und Designartikeln entfacht. So verstand es sich von selbst, dass alle großen internationalen Galerien bereits in und um 798 vertreten waren, und selbst die renommiertesten Kunsthochschulen – wie etwa die New Yorker Parsons School of Design, das Saint Martins College London oder die Königliche Kunstakademie Antwerpen – hatten in der Gegend um 798 ihre chinesischen Dependancen eröffnet.
    Wie jedes Mal, wenn ich einen Ausflug nach 798 unternahm, stattete ich auch diesmal der New Dragon’s Gate Gallery einen Besuch ab. Diese Galerie war frei von avantgardistischen Spielereien und konzentrierte sich auf Ölgemälde französischer Impressionisten und Post-Impressionisten und kam somit meinem mit den Jahren zunehmend konservativ gewordenen Ge­schmack sehr entgegen. Es waren einige Meister darunter, der Großteil stammte jedoch von weniger bekannten Künstlern. In China, ähnlich wie in Japan, fanden Impressionisten und Post-Impressionisten mittlerweile großen Anklang und es gab einige wohlhabende Sammler, die insbesondere die französische Malerei jener Zeit sehr schätzten.
    Die New Dragon’s Gate Gallery war standesgemäß edel eingerichtet und die prächtigen Leuchter, die von der Decke der Eingangshalle herabhingen, waren nicht etwa billige Imitate, sondern bestanden aus echtem Baccarat-Kristall.
    Ich blickte eben noch versonnen an die Decke und überlegte, ob die Leuchter eher zu den impressionistischen oder post-impressionistischen Gemälden passten, als plötzlich ein Pärchen auf der Bildfläche erschien, das zwar nicht Händchen hielt, aber durch den geringen Abstand zwischen ihren Schultern doch eine gewisse Intimität verriet, und das fröhlich plaudernd direkt auf mich zukam. Mir blieb keine Zeit, den beiden aus dem Weg zu gehen. Ich erkannte Jian Lin sofort, und als er meiner gewahr wurde, reagierte er schnell: »Oh, hallo Chen! Lass mich vorstellen: Professor Wen.«
    Ich gab der Frau die Hand: »Hallo Wen Lan, lange nicht gesehen.«
    »Ja, wirklich, ist eine ganze Weile her, Meister Chen«, antwortete sie.
    Warum nannte mich auf einmal auch Wen Lan so?
    »Ihr kennt euch?« Jian Lin war sichtlich erstaunt.
    »Meister Chen ist sehr bekannt in Hongkonger Künstlerkreisen«, erklärte Wen Lan.
    Dass ich eigentlich aus Taiwan kam, hatte sie wohl vergessen. Sie trug ein erlesenes Outfit, edel, aber nicht protzig, teuer, aber geschmackvoll, und alles in allem überaus ansehnlich.
    »Hast du eine Visitenkarte?«, fragte sie, und zog ein silbernes Etui aus ihrer Handtasche.
    »Leider nicht dabei«, log ich.
    »Ich habe seine Nummer«, bot Jian Lin an, worauf Wen Lan ihre Visitenkarten ebenfalls wieder einsteckte.
    »Die Galerie hier ist gar nicht schlecht, aber Professor Wen meint, die Preise seien etwas höher als in Paris. Auf einem Bild war ein Weingut, das mir ganz bekannt vorkam. Vielleicht war ich im letzten Jahr sogar mal dort«, meinte Jian Lin.
    »Absolut überteuert«, fügte Wen Lan mit fachmännischer Miene hinzu.
    »Na, das werde ich mir doch gleich mal ansehen«, sagte ich und verabschiedete mich schleunigst von den beiden.
    Meine gute Laune war dahin, auf Ölgemälde hatte ich jedenfalls keine Lust mehr. Unvermittelt fiel mir eine treffende Beschreibung für Wen Lans Erscheinung

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