Die fetten Jahre
eben ein: strahlend wie ein französischer Kristallleuchter.
Sie war die Frau, die ich damals hatte heiraten wollen. Ich hatte die Wohnung für uns in Hongkong schon gekauft, als ich erfuhr, dass sie bereits einen anderen geehelicht hatte.
Es war im Herbst des Jahres 1991. Ich war nach Peking gefahren um ein Gelehrtenpärchen zu interviewen, das ’89 seine Anstellung verloren hatte. Als ich die Wohnung der beiden betrat, waren gerade ein paar Studenten von der Beijing Normal University zu Besuch. Ihr uneigennütziger Beistand in diesen schweren Zeiten rührte mich zutiefst.
Eine Studentin stach besonders hervor: Wen Lan war im vierten Jahr ihres Studiums, hübsch, unbefangen und temperamentvoll.
Sie sorgte dafür, dass ich einen Zettel mit den Adressen aller anwesenden Kommilitonen bekam. Es war natürlich Kalkül, das weiß ich heute. Ich sollte wissen, wie ich sie erreichen konnte.
Wir verabredeten uns zu einem Spaziergang am Houhai-See. Ihre Mutter stammte aus Shanghai, ihr Vater aus Peking, er arbeitete als Redakteur bei einer Theoriezeitschrift des Zentralen Propagandabüros. Wen Lan begeisterte sich für westliche Literatur, interessierte sich aber auch für die Geschehnisse im eigenen Land und war abgesehen davon einfach wunderschön.
Sie fragte mich: »Was ist der Sinn unserer Existenz?« Um tiefgründig zu wirken, gab ich eine möglichst gewundene Antwort. Sie jedoch zitierte Sartre: »Mensch sein heißt leben: Es gibt Wirklichkeit nur in der Tat.« Ich verliebte mich in sie.
Ich fuhr nach Hongkong zurück, nur um ein paar Tage später unter irgendeinem Vorwand wieder nach Peking zu fahren. Sie wolle ins Ausland, sagte sie. Ich nahm all meinen Mut zusammen und fragte sie, ob sie mich heiraten würde. Vor Rührung weinte und lachte sie zugleich, was ich als Einverständnis deutete. Ich sagte ihr, wie viel ich verdiente und dass es für uns beide reichen würde, dass ich eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für Hongkong hatte und sie zu mir holen konnte.
Wie lange man verheiratet sein musste, um sich in Hongkong niederlassen zu dürfen, wollte sie wissen. Wenn man etwas nachhalf, schon nach zwei Jahren, antwortete ich, in der Zwischenzeit konnte sie auch mit einem Besuchervisum einreisen und ich war sowieso oft in Peking, sodass wir uns sehen konnten, wann immer wir wollten. Kurze Trennungen beleben die Ehe, scherzte ich noch. Sie schien aufgeregt und voller Vorfreude. Wir wollten noch ein Jahr warten, damit sie erst ihr Studium beenden konnte. Ich fragte sie, ob ich bei ihren Eltern vorsprechen solle. Bei meinem nächsten Besuch würde sie es einrichten, sagte sie. Ich hatte nicht den leisesten Anflug eines Zweifels.
Ich konnte mein Glück kaum fassen: ein so großartiges Pekinger Mädchen und auch noch achtzehn Jahre jünger als ich! Zurück in Hongkong stieß ich zufällig auf die Annonce für die Wohnung in Kornhill, nahm meine Ersparnisse aus zehn Jahren und zahlte die Wohnung damit an. Auf neunzig Quadratmetern sollte unsere gemeinsame Welt entstehen.
Als die Kaufformalitäten abgewickelt waren, rief ich in Peking an. Wen Lans Vater sagte mir, sie sei nach Deutschland gegangen. Wann sie wiederkommen würde, fragte ich. Die Stimme am anderen Ende der Leitung wurde unfreundlich: »Sie kommt wieder, wenn sie verheiratet ist, also hört endlich auf, ihr hinterherzutelefonieren!«
Eilig fuhr ich nach Peking und rief die anderen Studenten an, die bei unserem ersten Treffen dabei gewesen waren. Sie erzählten mir, dass sie Wen Lan kaum kannten und nach dem gemeinsamen Besuch bei dem Gelehrtenpärchen keinen weiteren Kontakt mit ihr gehabt hatten.
Ich erinnerte mich, dass Wen Lans Hauptfach Französisch gewesen war, sie aber auch Deutschkurse am Goethe-Institut belegt hatte, also rannte ich dorthin und fragte nach ihr. Sie war nicht mehr eingeschrieben. Eine der Mitarbeiterinnen sagte, sie hätte einen Deutschen geheiratet, der hier nebenberuflich Deutschkurse gegeben hatte. Wie er hieß, wollte ich wissen, doch diese Auskunft wurde mir verweigert. Ich platzte ins Büro des Leiters, eines namhaften Chinakenners. Er war mit einer Chinesin verheiratet und vielleicht konnte er verstehen, was in einem jungen chinesischen Mädchen vorgehen mochte. Geduldig hörte er mich an, erklärte mir jedoch bestimmt, dass er die deutsche Adresse von Wen Lans Freund nicht herausgeben könne. Er versprach jedoch, meine Nachricht an sie weiterzuleiten, falls ich ihr etwas schreiben wollte.
In einem der
Weitere Kostenlose Bücher