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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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Dongsheng!«, rief ich, nicht wenig überrascht.
    »Nein, mein anderer Cousin«, korrigierte mich Jian Lin. »Wir sind uns alle auf der Trauerfeier meiner verstorbenen Tante begegnet. Wen Lan ist als Kind auf die Fremdsprachen-Mittelschule in Bauiduizi gegangen, ihre Französischlehrerin war meine Tante.«
    »Wer ist dieser andere Cousin?«, fragte ich.
    »Die EURAFLA Friendly Investment Corporation ist dir ein Begriff?«
    »Sind das nicht die, die für Want-Want-Starbucks den afrikanischen Markt erschlossen haben?«
    »Das sind doch bloß Peanuts. Erdöl, Mineralien, riesige Infrastrukturprojekte …«
    »… Waffen?«, riet ich.
    »Natürlich auch Waffen! Afrika, Lateinamerika …«
    »Und wofür steht das EUR?«
    »Türkei, Kaukasus, Ex-Jugoslawien, die ehemalige Sowjetunion.«
    Ich meinte, mich zu erinnern, dass der Chef dieser Firmengruppe ein Typ mit Bürstenschnitt war, also fragte ich: »Wen Lan hat sich also den Rasenmäherkopf geangelt?«
    Jian Lin nickte niedergeschlagen.
    »Er hat doch nicht etwa mehr Geld als du?«, fragte ich, absichtlich etwas provokant.
    »Der spielt in einer ganz anderen Liga«, gab er zurück.
    Plötzlich schoss mir eine Frage durch den Kopf: »Ist er am Ende mächtiger als He Dongsheng?«
    »Dongsheng sorgt sich um Land und Volk, aber er hat bloß eine Beraterfunktion, ist höchstens so was wie ein oberster Vordenker. Über ihm gibt es noch eine ganze Reihe mächtigerer Leute, selbst ein Obersekretär im Ständigen Ausschuss des Politbüros hat mehr zu melden. Auch wenn es letztendlich weniger auf die Position ankommt als darauf, ob die eigene Strömung in der Partei gerade das Sagen hat oder nicht. Aber das verstehst du eh nicht. In der chinesischen Politik gibt es eine Menge ungeschriebener Regeln, von denen du nichts weißt. In China kann man nie nach Äußerlichkeiten gehen. Das kann man euch Leuten von außerhalb eh nicht erklären.« Er war vom vielen Reden ganz ungeduldig geworden.
    Diese Haltung, nach der kein Außenstehender China wirklich verstehen konnte, kannte ich nur zu gut. Sollte Jian Lin doch von mir aus glauben, dass ich die Gegebenheiten im Land nicht durchdrang. Er war heute eben schlecht gelaunt und deshalb etwas reizbar. Es war besser, wenn ich mich ein wenig zurückhielt, schließlich lag mir etwas an unserer distanzierten Freundschaft.
    »Das bleibt aber unter uns, bitte schreib nicht darüber«, er- mahnte er mich.
    »Ich schreibe nicht für Klatschmagazine!«, antwortete ich leicht gekränkt.
    Wir aßen schweigend.
    Gut möglich, dass Wen Lan und der Rasenmäher gar keine so schlechte Partie abgeben, dachte ich bei mir. Vielleicht sind sie einander ebenbürtig. Langsam müsste es ihr auch reichen – die jahrelange Männersuche und das ständige Umsatteln waren sicher sehr ermüdend. Oder würde sie erst ruhen, wenn sie es bis zur First Lady Chinas gebracht hatte?
    Dann kam He Dongsheng zur Tür herein. Jian Lin legte den Zeigefinger auf die Lippen und bedeutete mir so, nicht weiter über Wen Lan zu sprechen.
    He Dongsheng hatte für jeden von uns eine Flasche Maotai mitgebracht: »Speziallieferung fürs Regierungsviertel, kann man sich also beruhigt zu Gemüte führen.«
    Wir bedankten uns erfreut. Dieser schlaflose Staatsmann war ja doch nicht so unterkühlt.
    Jian Lin goss uns aus einer kristallenen Karaffe einen ’89er Lafite ein, ein sehr guter Jahrgang. Dann begann der Film, ein Werk aus dem Jahr 1975 mit dem Titel Der Zweite Frühling. Nach der Festlegung der acht Musterstücke fürs Theater während der Kulturrevolution war dies einer der ersten Filme gewesen, der unter Anleitung der Viererbande um Maos Frau Jiang Qing gedreht worden war. Deng Xiaoping war damals politisch wieder im Aufwind und hatte den Vereinten Nationen gerade einen Besuch abgestattet. Nach seiner Rückkehr sprach er davon, dass das Land moderne Technologien brauche, und dieser von der Viererbande produzierte Streifen war als Hieb in seine Richtung gedacht. Die Kulturrevolution war jedoch bereits zu Ende, bevor er überall im Land gezeigt werden konnte.
    Ich warf einen Blick auf He Dongsheng. Er saß wieder mit geschlossenen Augen da. Ich wusste jetzt, warum er in letzter Zeit an allen Vorführungen teilnahm: Sonst von Schlaflosigkeit geplagt, konnte er sich während unserer Filmabende etwas entspannen und ein wenig vor sich hin dösen.
    Jian Lin zeigte heute ebenfalls kein Interesse für den Film, sondern saß mit hängendem Kopf da, eine Hand an die Stirn gelegt. Wen Lan

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