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Die fetten Jahre

Die fetten Jahre

Titel: Die fetten Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Koonchung Chan
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deshalb den ganzen Tag high herumlief. Fang Caodi schloss das aus. So viele Chinesen auch Psychopharmaka schlucken mochten – es würden wohl kaum alle sein. Das Phänomen, das es zu klären galt, war die Tatsache, dass fast die gesamte Bevölkerung high und nur eine verschwindend geringe Zahl es eben nicht war.
    Auf dem gesamten Weg von Henan nach Peking unterhielten sich die beiden über ihre Erfahrungen während der vergangenen zwei Jahre; Chen konnte dabei bloß zuhören. Sie erzählten in einem fort, bis Fang Caodi den schlamm- und staubbedeckten Cherokee vor Miaomiao und Zhang Dous Haustür zum Stehen brachte.
    Zhang Dou kam Xiaoxis Stimme irgendwie vertraut vor, und auch Xiaoxi schien es, als hätte sie Zhang Dou schon einmal irgendwo gesehen – aber keiner von beiden konnte sich entsinnen, wann und wo das gewesen sein mochte.
    Am Abend schlugen Zhang Dou und Miaomiao im Hof ein Zeltlager auf und überließen ihr Zimmer Xiaoxi, während Fang Caodi ihn seinem Zimmer ein zweites Klappbett für Chen aufstellte.
    Xiaoxi hatte bereits erklärt, dass sie bereit war, eine Beziehung mit Chen einzugehen, jedoch etwas Zeit brauchte, um sich an den Gedanken zu gewöhnen. Sie hatte angedeutet, dass sie nicht sofort zu ihm ziehen wollte. Xiaoxi könne ja erstmal in Miaomiaos Zimmer wohnen, hatte Fang Caodi vorgeschlagen, und wenn das Wetter etwas kühler würde, würde er mit Zhang Dou ein eigenes Zimmer für sie anbauen. Wenn Xiaoxi nicht gleich zu ihm ziehen mochte, dann bedeutete das noch lange nicht, dass sie ewig hier auf dem Land bleiben wollte, dachte Chen bei sich. Aber er wollte sie nicht zu einer Entscheidung drängen, und solange sie bei Miaomiao und Zhang Dou unterkam, hatte sie in Fang Caodi jemanden, mit dem sie reden konnte, und ging noch dazu ihren Beschattern in der Stadt aus dem Weg. Vielleicht gar nicht mal die schlechteste Lösung.
    Ein Außenstehender wie Chen konnte kaum ahnen, was zwei chinesische Idealisten wie Xiaoxi und Fang Caodi, die sich nun nach Jahren der Einsamkeit endlich getroffen hatten, zusammen mit einem kräftigen Burschen wie Zhang Dou an Tatkraft und Kampfeswillen freisetzen konnten.
***
    Nach ausführlichen Gesprächen mit Fang Caodi und Zhang Dou kam Xiaoxis Erinnerung an den Beginn des fraglichen Monats allmählich zurück.
    Es war der erste Arbeitstag nach den Neujahrsfeiertagen, der achte Tag nach Chinesisch-Neujahr. Fernsehen, Tageszeitungen und Onlinemedien brachten übereinstimmend die Nachricht vom Ausbruch einer neuen weltweiten Wirtschaftskrise, und die Menschen überkam das Gefühl, dass ihnen großes Unglück bevorstand. Im Internet und über die Handynetze verbreiteten sich immer neue Gerüchte, in Wellen überstürzten sich immer neue Nachrichten, es war ein Auf und Ab wie in einer Achterbahn. Anfangs schimpften die Leute auf Amerika, bezichtigten die USA der mutwillig herbeigeführten Entwertung ihrer Währung; der Dollar hatte auf einen Schlag dreißig Prozent seines Wertes verloren und damit Unmengen hart erarbeiteter chinesischer Devisenreserven einfach eingedampft. Dann hieß es, im Süden würden reihenweise Fabriken geschlossen, die Wanderarbeiter kämen nicht zurück in die Städte, die chinesische Wirtschaft stünde diesmal wirklich vor dem Kollaps. Es wurde vom Anstieg des Goldpreises auf zweitausend Dollar pro Unze berichtet, vom Totalabsturz der Börsen in Shanghai und Shenzhen, der Verhängung des Ausnahmezustands über Xinjiang und Tibet. Innerhalb kürzester Zeit veränderte sich die gesamte Atmosphäre in der Stadt. Die Menschen verließen ihre Arbeitsstätten und fuhren nach Hause, auf den Straßen brach heilloses Chaos aus, und in den Gassen kochte die Gerüchteküche über. Gegen Nachmittag waren die Menschen so verunsichert, dass sie begannen, Lebensmittel und Gebrauchsgüter zu hamstern.
    Zhang Dou erinnerte sich, dass er und Miaomiao als Erstes so viel Tierfutter gehortet hatten, wie sie nur bekommen konnten. Zum Glück, wie sich herausstellte – denn nach jenem Tag war über einen Monat lang in der ganzen Gegend nirgendwo mehr welches zu haben gewesen.
    Merkwürdig war, dass die staatlichen Medien wie CCTV und Beijing Television zwar Bilder von Unruhen in anderen Teilen der Welt zeigten, aber niemand kam und der Öffentlichkeit versicherte, dass in China die Lebensmittelversorgung gewährleistet sei, oder auf andere Art versuchte, die Gemüter zu beruhigen. Unmöglich, dass die Regierung so lange brauchte, um zu reagieren, meinte Fang Caodi.

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