Die fetten Jahre
Energieaktien als langfristige Anlage. Aber vor allem beschloss er, von nun an Renminbi zu halten oder in harte Renminbi-Anlagen zu investieren, vor allem in chinesische Immobilien. Von Inlandsaktien hielt er Abstand. Erstens hatte er dafür keine Zeit, zweitens war ihm die Verlogenheit und Intransparenz des ganzen Spiels zuwider, und drittens wollte er nicht den Eindruck erwecken, er sei geldgierig. Seine anti-amerikanische Investmentstrategie hatte ihm in den vergangenen Jahren eine ansehnliche Rendite beschert und ihn in seinen Ansichten zur Weltwirtschaft bestärkt. Als der Finanz-Tsunami 2008 hereinbrach, kam er für He Dongsheng zwar nicht überraschend, aber dennoch erschütterte er ihn und ließ ihn seine Wirtschaftstheorien überdenken. Er entwarf eine neue Vision für die Weltwirtschaft – mit besonderem Blick auf China – und integrierte diese Ideen auf raffinierte Weise in seinen »Friedensplan«.
Er sah, dass die westlichen Industrienationen, allen voran die USA, mit ihrem demokratischen Zwei- oder Mehrparteiensystem weder in der Lage waren noch die Entschlusskraft besaßen, das Monstrum des globalisierten Finanzkapitalismus zu bändigen. Die vom Volk gewählten amerikanischen Politiker standen unter dem Einfluss zahlreicher Interessenverbände: Wall Street, Großunternehmen, Rüstungsindustrie, regionale Einflussträger, Kirchen, Gewerkschaften und unterschiedlichste Lobbygruppen. Außerdem mussten sie stets die öffentliche Meinung im Blick haben. Sie waren also immer befangen und untereinander zerstritten – auch in Zeiten, in denen man sich eigentlich zusammenraufen sollte, um große Dinge gemeinsam anzugehen. Weil sie es allen recht machen wollten, würden sie sich nie trauen, hart durchzugreifen oder radikale Reformen voranzutreiben. Die Marktextremisten im Land – allen voran der rechte Flügel der Republikaner –, erstickten solche Vorhaben schon im Keim, auch wenn sie damit völlig die Zeichen der Zeit verkannten und ihre Blockadehaltung rein gar nichts zur Lösung der Probleme beitrug. He Dongsheng machte sich keine Illusionen mehr über die repräsentative Demokratie nach westlichem Vorbild und setzte keinerlei Hoffnung in sie. Noch weniger vertraute er darauf, dass die eng mit der Wall Street verbandelten Entscheidungsträger in der Finanzpolitik den Mumm besäßen, sich zur Rettung der Weltwirtschaft durchzuringen. Stattdessen glaubte er mehr und mehr daran, dass die post-totalitäre Regierung Chinas die Fähigkeit besaß, den herrschenden globalisierten Finanzkapitalismus unter Kontrolle zu bringen – wenn sie ihn nur richtig begriff.
Aber He Dongsheng wusste auch, dass es in China nicht ausreichte, die ›richtige‹ Auffassung von etwas zu haben. Auf allen Ebenen von Partei und Regierung hatten inzwischen Interessengruppen und korrupte Beamte ihre Hand im Spiel, sie würden jede noch so sinnvolle Politik verzerren oder sich ihr widersetzen. He Dongshengs Überzeugung verfestigte sich: Nur in einer Krise noch nie dagewesenen Ausmaßes konnten die Machthaber wirklich autoritär regieren, eine Befehlskette von oben bis nach ganz unten etablieren, und damit eine solide politische Basis für das dann bereits in den Startlöchern stehende Goldene Zeitalter Chinas schaffen.
He Dongshengs Wunsch erfüllte sich früher als erwartet: Die von ihm ersehnte Krise trat ein – jedoch schneller und mit einer Wucht, die die des Jahres 2008 bei Weitem übertraf. Das Polit-büro setzte gleich am ersten Tag panisch einen Maßnahmen-plan in Kraft, der erst kurz zuvor fertig ausgearbeitet worden war. Er trug den Namen Feuer, Eis und Gold und vereinte das geballte Wissen aller ständigen Mitglieder des Politbüros, hielt sich jedoch eng an He Dongshengs geheimen Plan des Himmlischen Friedens.
Aber wie war es zur Krise gekommen? Die USA hatten sich zu sehr am chinesischen Vorbild orientiert. Der Staat hatte Geld gedruckt und Schulden gemacht, nur um marode Automobilhersteller zu retten und bankrotten Banken neues Kapital zu beschaffen. Vergeblich. Die Kreditvergaben kamen nicht wieder in Gang, die Immobilienpreise fielen weiter in den Keller, die Marktkontraktion setzte sich fort und die Arbeitslosigkeit stieg stetig an, während der Dollar Schritt für Schritt an Wert verlor. Amerikanische Investoren mieden ihn, ausländische ebenfalls. Selbst den Zentralbanken Japans, Russlands und Taiwans war das Risiko, weiter Dollar zu halten, zu hoch. Ganz gleich, wie gut verzinst die kurz- und langfristigen
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