Die fetten Jahre
Staatsanleihen auch sein mochten – sie fanden keine Käufer mehr. Der Dollar hatte zwar nach 2008 einen temporären Wiederaufschwung erlebt, ging nun jedoch endgültig auf Talfahrt. Er büßte ein Viertel an Wert ein, was das wenige noch bestehende Vertrauen in ihn vollends zunichte machte. An einem Handelstag im Winter erreichte der Albtraum seinen Höhepunkt: Es kam zu Panikverkäufen des Dollars, gefolgt vom Zusammenbruch des amerikanischen Aktienmarktes. Der Vorsitzende der Federal Reserve Bank und der Finanzminister traten zurück, die beiden Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz und Paul Krugman bescheinigten den USA offiziell den Eintritt in eine gewaltige inflationäre Rezession – ein Phänomen, welches die chinesischen Medien mit »Feuer und Eis« betitelten.
Die Krise in den USA blieb für die anderen Wirtschaftsmächte nicht ohne Folgen. Auch in China spitzte sich die Lage zu. Der Export stagnierte, die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an, die Aktienkurse brachen ein. Diesmal schien ein flächendeckender Rückgang des Wachstums bis hin zur Rezession unausweichlich zu sein. Die direkte Geldzufuhr zur Stimulation der Wirtschaft hatte zwar dazu geführt, dass das Bruttoinlandsprodukt weiter wuchs, aber nicht vermocht, die Inlandsnachfrage anzukurbeln. Ein Großteil des Geldes war in zweifelhafte Projekte und Sachanlagen geflossen, deren Nutznießer in erster Linie Bürokratie und Nepotismus im Umfeld zentraler Staatsunternehmen gewesen waren. Es half lediglich, deren Monopole langfristig zu erhalten, und verkleinerte den Raum für Privatunternehmer.
Die massive Abwertung des Dollars hatte verheerende Folgen für die Weltwirtschaft, China nicht ausgenommen. Vor 2004 hatte sich der jährliche Handelsüberschuss der Volksrepublik in Grenzen gehalten, doch seitdem war Chinas Abhängigkeit vom Warenexport zusehends größer geworden. Immer schneller war die Menge der Ausfuhren angewachsen und damit waren auch Chinas Devisenreserven in schwindelerregende Höhen geklettert, zuletzt auf über zwei Billionen US-Dollar, die nun innerhalb kürzester Zeit ein Drittel ihres Wertes einbüßten. Trotz des Wehklagens hatte China nämlich – anders als Japan, Russland und Taiwan – die US-Währung nicht abgestoßen, sondern versucht, sie zu stützen, und weiteres Dollarvermögen zugekauft; nicht, weil man sich nicht vom Dollar lösen wollte, sondern schlicht aus Mangel an Alternativen. China arbeitete bereits an einer Vereinbarung über Währungsswaps mit Japan, Südkorea, den ASEAN-Staaten und den Mitgliedsländern der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit; man bedrängte die USA seit Längerem nachdrücklich, Anleihen in Renminbi herauszugeben, in ausländischen Medien oft »Panda-Bonds« genannt; China hatte versucht, sich zu wappnen, aber die Zeit lief den Chinesen davon, und es blieb nichts anderes übrig, als inständig zu hoffen, dass der Dollar sich noch eine Weile hielt. Doch sein Ende kam weitaus schneller als erwartet.
Politik ist grausam und der Wertverlust der Staatsfonds zusammen mit dem zu erwartenden Minuswachstum im Inland hätte ausgereicht, um den Rückhalt der damaligen Regierung innerhalb der Partei zu zerstören. Beim anstehenden Machtwechsel im Jahr darauf hätte ihre Fraktion unter diesen Umständen kaum noch Strahlkraft gehabt und mit Sicherheit das Zepter abgeben müssen, sehr zur Freude ihrer Widersacher. Aus Angst vor dem Machtverlust entschloss sich die Regierungsfraktion, den Feuer-Eis-und-Gold-Plan in Gang zu setzen. Wenn man schon dem Untergang geweiht war, dann konnte man auch bis zum Äußersten gehen und versuchen, mit einer Verzweiflungstat das Ruder noch einmal herumzureißen – entweder Sieg auf ganzer Linie oder … Aber wen kümmerte das noch? Sollte doch die nächste Regierung die Scherben aufsammeln!
Der Tag, an dem der Dollar abstürzte, war der achte Tag nach Chinesisch-Neujahr. Die Feiertage waren gerade vorüber, der Arbeitsalltag wieder eingekehrt. An jenem Morgen berichteten die Medien beinahe geschlossen vom Anbruch der weltweiten Feuer-und-Eis-Periode. Am Nachmittag kam es in den Städten bereits zu Hamsterkäufen bei Lebensmitteln und Haushaltswaren, bis zum Abend waren auch hartnäckige Optimisten restlos verunsichert.
Wo blieb der Staat?
Tatsächlich waren Sicherheitsbehörden, Militärpolizei und Armee landesweit schon längst in Alarmbereitschaft versetzt worden. Die Lokalregierungen aller Ebenen bekamen aus der Zentrale die Anweisung: Im ganzen
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