Die fetten Jahre
bringen wird. Um am Leben zu bleiben, müssen wir deine Geheimnisse bewahren. Zudem können wir ja auch nicht wissen, ob du nicht doch mit uns abrechnen wirst, sobald wir dich auf freien Fuß setzen. Vielleicht schickst du jemanden, der sicherstellt, dass wir für immer schweigen. Aber dabei bist du ebenso auf Mitwisser angewiesen und du kannst auch nicht sicher sein, dass dir nicht doch einer von uns durch die Lappen geht und alles, was heute Abend hier passiert, ins Netz stellt. Es bleibt immer ein Restrisiko. Denk darüber nach. Die Logik meines Vorschlags und seiner Konsequenzen wird dir einleuchten. Uns Menschen ist Rationalität gegeben, zudem haben wir alle einen starken Selbsterhaltungstrieb. Für beide Seiten ist es der beste Deal, Stillschweigen zu wahren und unauffällig zu bleiben. Anders ausgedrückt: Beide Seiten werden das Übereinkommen strikt einhalten.«
»Rationalität? Übereinkommen? Deinen Optimismus möchte ich haben!«
»Ich bin bereit, es drauf ankommen zu lassen. Was ist mit dir?«
»Du kennst sicher die Geschichte vom Skorpion, der den Frosch überredet, ihn durch den Fluss zu tragen. Er kann seinen Instinkt nicht unterdrücken und auf halbem Weg sticht er zu – beide ertrinken.«
»Wie wahr, wie wahr. Für beide Seiten ist es riskant. Es ist ein aus der Not geborenes Unterfangen, das gebe ich gerne zu. Wenn es noch einen anderen Weg gäbe, würde ich mich auch nicht auf diesen Handel einlassen wollen. Unser Leben gegen deine Parteikarriere – wir haben weit mehr zu verlieren, wie ich finde. Um ehrlich zu sein, ich mache diesen Vorschlag nur, weil mir keine andere Lösung einfällt, die gütlich und für beide Seiten akzeptabel wäre. Vielleicht hast du ja eine bessere Idee, mein lieber Dongsheng? Ich jedenfalls nicht. Denk ruhig ein wenig darüber nach.«
He Dongsheng kam die ganze Situation viel zu absurd und surreal vor, aber er träumte das alles schließlich nicht. Chens Vorschlag war absolut kindisch, aber er meinte es anscheinend wirklich ernst. Sich in Lebensgefahr zu begeben, nur um ihn nach ein paar Fragen wieder laufen zu lassen … Was dachten sich diese Irren bloß? Aber es sah so aus, als würden sie ihn zumindest noch eine Weile am Leben lassen, wenn er mitspielte. Wenn er wieder frei kam, hatte er das Heft in der Hand, dann ließ sich schon alles regeln. Bei seiner Entscheidung durfte er nur an sich denken. Er befand sich nunmal im Hier und Jetzt, in der Gewalt von Entführern, und er hatte in der Tat auch keinen besseren Vorschlag als Chens verrückte Idee. Also willigte er ein: »Ihr könnt eure Fragen stellen. Aber ich gebe keine Staatsgeheimnisse preis.«
»Da kommst du nicht drum herum«, sagte Chen, »bei uns gibt es kein Gefeilsche wie auf dem Basar. Wir zahlen einen sehr hohen Preis, um Antworten auf unsere Fragen zu bekommen. Also wirst du so lange antworten, bis wir zufrieden sind. Ob wir leben oder sterben, ist für uns zweitrangig. Wenn wir keine Antworten bekommen, hat unser Leben eh keinen Sinn mehr – dann stehen wir für unsere Überzeugung ein und gehen vereint zugrunde. Und davon mal ganz abgesehen, lieber Dongsheng: Ganz gleich, ob du tatsächlich Geheimnisse preisgibst oder nicht – wenn deine werte Partei dich verdächtigt, es getan zu haben, dann hast du es getan. Selbst wenn wir nur einen Teil der Aufnahmen, die wir bis jetzt gemacht haben, ins Netz stellen, dann kannst du dich waschen, so sehr du willst – den Geruch des Verdachts wirst du garantiert nicht mehr los. Gemeinsam leben oder zusammen sterben – jedes Glied in der Kette ist untrennbar mit den anderen verbunden und verzahnt, jede der beiden Seiten muss ihren Part voll und ganz erfüllen, andernfalls ist alles hinfällig. Also, wie entscheidest du dich?«
He Dongsheng hatte Angst, dass Chen es sich anders überlegen würde, wenn sich die Verhandlung weiter hinzog: »Bei Tagesanbruch muss ich gehen dürfen.«
»Du hast mein Wort darauf«, sagte Chen.
He Dongsheng sagte: »Gebt mir noch etwas Wasser.«
Während Zhang Dou ihm noch einen Becher Wasser verabreichte, nutzte Chen die Gelegenheit, um Xiaoxi und Fang Caodi zu instruieren, jedoch so, dass auch He Dongsheng es hörte: »Alles, was heute Nacht geschieht, einschließlich der Antworten, die wir gleich bekommen, ist nur für die zehn Ohren in diesem Raum bestimmt. Nicht das Geringste davon darf ihn verlassen. Auch wenn Dinge darunter sind, die eurer Meinung nach öffentlich gemacht werden müssen – tut mir leid, kommt
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