Die fetten Jahre
aus der Welt zu schaffen. In der Krise witterte He Dongsheng die Chance. Er glaubte, dass der vorgezogene Eintritt Chinas in sein Goldenes Zeitalter zum einen von der weltweiten Situation abhing und zum anderen davon, ob sich im Land eine passende Gelegenheit auftat, die es der Regierung erlaubte, das Chaos zu ordnen und zu vollenden, was dreißig Jahre Reform und Öffnung nicht vermocht hatten. »Gelegenheit« bedeutete nichts anderes als eine schwere interne Krise. Nur in einer alles erschütternden Krise würden sich die Menschen bereitwillig in die Umarmung einer autoritären, allmächtigen Regierung flüchten.
Die Bevölkerung hatte das chinesische Einparteienmodell bislang aus zweierlei Gründen hingenommen: Erstens verhieß es Stabilität, zweitens ermöglichte es die Bündelung von Ressourcen – und nur so ließ sich Großes erreichen. Die Wahrung der Stabilität war somit lediglich eine Grundvoraussetzung. Dies konnte jedoch auch in einer Demokratie gelingen, wie das Beispiel Taiwan zeigte. Man mochte sich zwar über das Durcheinander lustig machen, das die demokratische Kultur dort zuweilen mit sich brachte, aber die Machtwechsel auf der Insel verliefen friedlich, und das politische System insgesamt war stabil. Stabilität allein genügte also nicht; die Einparteienherrschaft musste beweisen, dass sie zu etwas Großem fähig war, zu etwas, was eine Demokratie niemals vermochte. Solange ihr das nicht gelang, würde man ihre Existenzberechtigung weiter infrage stellen. Genau eine solche Gelegenheit war es, auf die He Dongsheng wartete. Er nannte es insgeheim seinen Plan des Himmlischen Friedens. Der Name klang zwar etwas pathetisch, hatte sich aber bald in seinem Kopf festgesetzt. Der Blick in die Zukunft führte über die Vergangenheit. Das Grübeln darüber begleitete ihn in manch schlafloser Nacht.
Wenn es nicht rechtzeitig zur großen Krise kam, dann würde es beim bevorstehenden Führungswechsel sehr brenzlig werden. Zum einen würde es wie bei allen vorherigen Wechseln an der Spitze der KP zu erbitterten innerparteilichen Machtkämpfen zwischen den verschiedenen Lagern kommen; zum anderen war in der Vergangenheit einfach zu viel vorgefallen. Nach dem Finanz-Tsunami 2008 klaffte die soziale Schere immer weiter auseinander, der Unmut über den Staat wurde lauter. Die Machthabenden waren sichtlich geschwächt und boten ihren Gegnern überall Angriffsflächen. Wenn sich das bis zum Parteigipfel fortgesetzt hätte, wäre der Machtverlust der regierenden Fraktion so gut wie besiegelt gewesen. He Dongsheng gehörte zwar nicht zum inneren Zirkel der Mächtigen, er hatte jedoch bereits zwei Regierungen erlebt und eine Vorstellung davon, wer von den möglichen Nachfolgern das geringere Übel darstellte. Er zog es vor, für Technokraten ohne rote Wurzeln zu arbeiten. Aber nichtsdestotrotz wollte er sich nicht in einen erbitterten Machtkampf hineinziehen lassen und war noch weniger bereit, mit anzusehen, wie ein Führungswechsel die politische Lage in China durcheinanderbrachte. He Dongsheng war zu der Zeit gerade einmal Kandidat für einen Platz im Politbüro, er selbst konnte also nicht viel erreichen. Was er brauchte, war eine angemessen große Krise, die größer war als alle Politik. Nur sein Plan des Himmlischen Friedens konnte das Land dann vor dem Chaos retten. Dabei ging es ihm nicht um Anerkennung. Niemand würde ahnen, dass er es gewesen war, der den »Friedensplan«, dieses Trojanische Pferd, minutiös erdacht hatte, um damit die dauerhafte Herrschaft der Partei zu sichern. Wenn das Goldene Zeitalter einträfe – und daran zweifelte He Dongsheng keinen Augenblick –, würde die oberste Partei- und Staatsführung an seiner Stelle den Ruhm ernten.
He Dongsheng hatte die Krise des westlichen Finanzkapitalismus lange kommen sehen und sich dagegen gewappnet, indem er bei seiner privaten Investmentstrategie gegen den Dollar gewettet hatte. Er lebte schon viele Jahre in Zhongnanhai und hatte es anfangs gemacht wie alle anderen Offiziellen: Er hatte möglichst viel chinesisches Geld ins Ausland geschafft und in US-Dollar gewechselt. Aber vor etwa zehn Jahren änderte sich seine Einschätzung, was dessen Wert anging, und er begann, sein Vermögen in Kanadische Dollar zu tauschen, um damit seinem Sohn das Studium im Ausland zu bezahlen; dazu kaufte er eine Edelimmobilie in Shaughnessy Hights, Vancouver. Von seinen verbliebenen US-Dollar kaufte er Gold-, Erdöl- und andere Rohstoff- beziehungsweise
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