Die Feuer des Himmels
Melaine dürfte das Thema genausowenig gefallen.
»Ich habe noch etwas Wichtiges, das ich Euch sagen wollte«, fuhr sie nach einer kurzen Pause fort. »Ich glaube nämlich, die Verlorenen führen irgend etwas im Schilde.« Das war nicht dasselbe, als hätte sie ihnen von Birgitte berichtet. Sie ließ es so erscheinen, als habe sie selbst Lanfear und die anderen gesehen. In Wirklichkeit war Moghedien die einzige, die sie erkennen konnte, ja, und vielleicht noch Asmodean, obwohl sie den nur einmal und auf einige Entfernung gesehen hatte. Sie hoffte, keine der anderen werde auf die Idee kommen, sie zu fragen, woran sie denn die einzelnen erkannt hatte oder wieso sie glaube, daß Moghedien sich hier irgendwo herumtrieb. Tatsächlich lag das Problem, mit dem sie es nun zu tun hatte, ganz woanders.
»Habt Ihr etwa die Welt der Träume durchforscht?« Melaines Augen schimmerten wie grünes Eis.
Nynaeve erwiderte gelassen ihren Blick, obwohl Egwene bedauernd den Kopf schüttelte. »Ich hätte wohl kaum Rahvin und die anderen sehen können, wenn ich nicht hiergewesen wäre, oder?«
»Aes Sedai, Ihr wißt wenig und Ihr wagt zuviel. Man hätte Euch die wenigen Dinge, die Ihr wißt, nicht beibringen sollen. Was mich betrifft, so bedaure ich manchmal, daß wir diesen Treffen hier zustimmten. Man sollte keine ungeübten Frauen nach Tel'aran'rhiod lassen.«
»Ich habe mir selbst mehr beigebracht, als Ihr mich jemals lehrtet.« Nynaeve behielt mit einiger Mühe den kühlen Tonfall bei. »Ich habe allein gelernt, die Macht zu lenken, und ich sehe nicht ein, warum es bei Tel'aran'rhiod anders verlaufen sollte.« Nur aus Halsstarrigkeit und Zorn heraus sagte sie diese Dinge. Sicher hatte sie sich selbst das Lenken der Macht beigebracht, aber da hatte sie nicht einmal gewußt, was sie überhaupt tat, und sie hatte auch keineswegs alles richtig gelernt. Vor der Weißen Burg hatte sie manchmal Menschen mit Hilfe der Macht geheilt, aber unbewußt, bis Moiraine ihr die Augen geöffnet hatte.
Ihre Lehrerinnen in der Burg hatten gesagt, genau hier liege der Grund dafür, daß sie zornig sein mußte, um die Macht anwenden zu können: Sie hatte ihre Fähigkeiten vor sich selbst verborgen gehalten, hatte sich davor gefürchtet, und durch diese Mauer der Angst konnte sie nur mit Hilfe ihres Zorns brechen.
»Also seid Ihr eine von denen, die von den Aes Sedai ›Wilde‹ genannt werden.« Es lag eine Andeutung in diesem Wort, ob es nun Verachtung war oder Mitleid, die Nynaeve nicht gefiel. Die Bezeichnung wurde in der Burg auch meist nicht gerade als Kompliment empfunden. Natürlich gab es unter den Aiel keine Wilden. Die Weisen Frauen, die mit der Macht umgehen konnten, fanden jedes Mädchen, das mit diesem Funken geboren wurde und früher oder später diese Fähigkeit entwickeln würde, auch wenn sie gar nicht versuchte, es zu erlernen. Sie behaupteten außerdem, auch jedes Mädchen aufzuspüren, dem dieses Talent wohl nicht angeboren war, das aber später unter entsprechender Anleitung das Lenken der Macht erlernen konnte. Kein Aielmädchen starb, weil sie das ganz allein zu lernen versuchte. »Ihr kennt doch die Gefahren, wenn man ohne Führung den Gebrauch der Macht lernen will, Aes Sedai. Glaubt ja nicht, die Gefahren des Traums seien geringer! Sie sind genauso groß, und für diejenigen, die ohne das notwendige Wissen den Traum betreten, sind sie vielleicht noch größer.«
»Ich bin schon vorsichtig«, sagte Nynaeve mit angespannter Stimme. Sie war nicht hergekommen, um sich von diesem sonnenhaarigen Drachen von Aielfrau Vorträge halten zu lassen. »Ich weiß, was ich tue, Melaine.«
»Ihr wißt gar nichts. Ihr seid genauso halsstarrig wie die hier, als sie zu uns kam.« Die Weise Frau warf Egwene ein Lächeln zu, das tatsächlich wohlwollend schien. »Wir haben ihre überschüssige Energie in die richtigen Bahnen geleitet, und nun lernt sie rasch. Obwohl sie noch immer viele Fehler hat.« Egwene verging das geschmeichelte Grinsen wieder. Nynaeve vermutete, nur dieses Grinsens wegen habe Melaine das Letztere hinzugefügt. »Wenn Ihr im Traum wandeln wollt«, fuhr die Aielfrau fort, »dann kommt zu uns. Wir werden Euren Eifer ebenfalls dämpfen und Euch unterweisen.«
»Danke sehr, aber ich benötige keine Zähmung«, sagte Nynaeve mit höflichem Lächeln.
»Aan'allain wird sterben an dem Tag, an dem er erfährt, daß Ihr tot seid.«
Eine Klinge aus Eis bohrte sich in Nynaeves Herz. Aan'allain war die Bezeichnung der Aiel für
Weitere Kostenlose Bücher