Die Feuer von Córdoba
einzigen hilflosen Schrei.
»Anselmo!«
Anselmo drehte sich in die Richtung, aus der die schwache, halb erstickte Stimme gekommen war. Hatte er wirklich richtig gehört? Taumelnd erhob er sich.
»Anselmo!«
Es war dieselbe Stimme. Und dann sah er es. Am Rande des Klostergeländes standen ein halbes Dutzend Kiefern. Einst waren sie prächtige schattenspendende Bäume gewesen , jetzt ragten ihre Zweige in den Himmel wie die verkohlten Hände von Toten. Ihre Kronen waren entlaubt, und ihre Rinden brachen in großen schwarzen Schuppen von den verbrannten Stämmen. Auch sie waren der Wut des Feuers zum Opfer gefallen.
»Anselmo!«
In den Zweigen von einem der Bäume erkannte Anselmo ein Bündel. Es schien sich schwach zu bewegen. Er nahm all seine Kraft zusammen und ging näher, um besser sehen zu können. Tatsächlich, es war ein Mensch. Dort oben in den Zweigen saß ein Mensch. Und dieser Mensch war …
»Teresa!«, krächzte er. Und plötzlich kam wieder Leben in ihn. »Teresa! Ich hole dich, hab keine Angst, ich hole dich!«
Sie saß dort oben in der Krone des Baumes, selbst fast ebenso schwarz wie der Stamm der verkohlten Kiefer, und zitterte am ganzen Leib. Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie hustete und keuchte.
»Anselmo!« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, und entsetzt erkannte er, dass sie nicht mehr lange die Kraft haben würde, sich festzuhalten. Wenn nicht schon vorher der Ast unter ihr nachgab. »Anselmo!«
Und in diesem Augenblick geschah es – sie fiel. In seiner Verzweiflung wusste Anselmo nichts anderes, als zu versuchen sie aufzufangen. Ihr Gewicht prallte auf ihn, riss ihn von den Füßen, und er bekam keine Luft mehr. Schmerzen peitschten durch seinen Körper.
Das ist das Ende, und das ist gut, dachte er und schloss die Augen. Er war so müde. Schlafen, ja, schlafen. Für immer und ewig schlafen. Mit seinen letzten Kräften schlang er die Arme um Teresas leblos auf ihm liegenden Körper und streichelte sanft ihr Haar. Dann zog sich die Dunkelheit um ihn zusammen.
Er spürte, wie sein Körper leicht wurde, so leicht, als würden die Hände der Engel ihn davontragen und direkt ins Paradies bringen. Dem ewigen Leben an Teresas Seite entgegen.
VIII
Ein neuer Tag
Anselmo stand am Fenster und sah hinaus auf den Hof. Die Engel hatten ihn und Teresa nicht ins Paradies getragen. Es waren Cosimo und Bartolomé gewesen, die sie auf Pferde gehoben und nach Hause gebracht hatten. Während Anselmo in Feuer und Rauch nach Teresa gesucht hatte, war Ricardo zur Hazienda zurückgelaufen, und hatte Hilfe geholt . Sein Leben lang hatte er Angst vor Pferden gehabt, und nun hatte sich eines in Not und Gefahr als treuer Freund erwiesen . Wie Mutter Maddalena ihm prophezeit hatte.
Er sah auf seine Hände hinab, die mit weichen, sauberen Tüchern bandagiert waren. Bartolomé hatte von einem Kräuterweib aus seinem Volk eine schmerzstillende Salbe bekommen . Immer noch fiel ihm das Sprechen schwer, immer noch musste er husten, und manchmal, wenn der Hustenreiz zu stark wurde, spuckte er neben dunklem rußigem Schleim auch Blut. Doch das bereitete ihm keine Sorgen. Seine Haut würde wieder heilen, ebenso wie seine wunde Kehle, und auch das Brennen in seinen Lungen würde irgendwann nachlassen , vielleicht schon morgen. Aber was ihn wohl niemals wieder loslassen würde, waren die schrecklichen Bilder des brennenden Klosters. Wenn er die Augen zumachte, loderte wieder das Feuer hinter seinen geschlossenen Lidern. Er hörte den letzten Aufschrei der Glocke und das Gebrüll der zusammenbrechenden Kirche. Das war gestern gewesen, doch es kam ihm wie ein halbes Leben vor. Und er war sich sicher, dass diese Bilder ihn noch in zehn, wahrscheinlich auch noch in hundert Jahren verfolgen würden.
»Wie geht es dir?«
Leise war Cosimo an ihn herangetreten.
»Besser«, sagte er mit krächzender Stimme, ohne sich umzuwenden . »Es ist nur … Ich muss an Mutter Maddalena und all die anderen denken. Wo sie wohl jetzt sein mögen?«
»Ich fürchte, sie befinden sich in den Kerkern der Inquisition «, sagte Cosimo und seufzte tief.
»Können wir denn nichts für sie tun? Gar nichts?«
Cosimo schüttelte den Kopf. »Morgen werden wir die Hazienda verlassen und nach Córdoba gehen. Wir werden uns eine Zeit lang im Haus von Juan Martinez verstecken und Señora Anne das Drachenöl geben. Vielleicht schafft sie es, Giacomo das Mittel einzuflößen, bevor Mutter Maddalena und ihre Nonnen zum Tod auf dem
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