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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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zu sagen, daß es mich zum bekanntesten ehrlichen Mann an der Westküste machen wird.« Sein Lächeln, so muß ich gestehen, besitzt einen gewissen jungenhaften Charme, obgleich Mr. Clemens nach Aussage meiner Quellen schon dreißig oder einunddreißig Jahre alt ist — und damit wohl kaum noch als Junge durchgehen kann.
    »In der Tat, Mr. Clemens«, griff ich seine Worte auf, »welch glückliche Fügung, daß Sie just in jener Stunde dem Hospital einen Besuch abstatteten, in der Kapitän Mitchell und seine Männer dort eingeliefert wurden...«
    An dieser Stelle zog der Korrespondent paffend an seiner Zigarre und räusperte sich in offenkundigem Unbehagen.
    »Sie haben doch das Hospital besucht, um Ihr Gespräch zu führen, nicht wahr, Mr. Clemens?«
    Der Korrespondent räusperte sich. »Das Gespräch fand im Hospital statt, während der Kapitän und seine Männer sich von ihren Strapazen erholten, ja, Miss Stewart.«
    »Aber haben Sie persönlich das Hospital besucht, Mr. Clemens?« fragte ich, und meine Stimme hatte etwas von ihrer Unschuld verloren.
    »Äh... nicht... äh... persönlich«, sagte der rothaarige Schreiberling. »Ich... äh... habe die Fragen durch meinen Freund, Mr. Anson Burlingame, übermitteln lassen.«
    »Aber natürlich!« rief ich aus. »Mr. Burlingame... unser zukünftiger Abgesandter in China! Er war ein wahres Juwel auf dem Missionsball. Aber sagen Sie uns, Mr. Clemens, warum bedient sich ein Korrespondent von Ihrem Kaliber und Talent bei einer derart spektakulären Geschichte der Hilfe eines Mittlers? Warum haben Sie nicht persönlich mit Kapitän Josiah Mitchell und seinen Beinahekannibalen gesprochen?«
    Etwas an meiner Formulierung »Beinahekannibalen« ließ Mr. Clemens offenbar erkennen, daß er es mit einer recht scharfzüngigen Person zu tun hatte, und er schmunzelte, obgleich er sich noch immer in offenkundigem Unbehagen unter den Blicken unserer kleinen Gruppe wand.
    »Ich war... ähm... indisponiert, könnte man wohl sagen, Miss Stewart.«
    »Doch wohl nicht krank, hoffe ich«, sagte ich, denn ich wußte dank der unbezahlbaren Mrs. Allwyte nur zu gut, welcher Art die Unpäßlichkeit unseres Korrespondenten gewesen war.
    »Nein, nicht krank«, erwiderte Mr. Clemens, und man konnte nun durch die Haare seines Schnauzers seine Zähne sehen. »Schlicht indisponiert aufgrund der Tatsache, daß ich in den vorangegangenen vier Tagen zuviel Zeit zu Pferde verbracht hatte.«
    Ich hielt mir keusch den Fächer vors Gesicht wie eine junge Unschuld auf ihrem ersten Ball. »Sie meinen...«, setzte ich an.
    »Ich meine Sattelquesen«, sagte Mr. Clemens, dessen Geschichte um seinen literarischen Triumph für den Moment gründlich badengegangen war. »Von der Größe von Silberdollars. Es dauerte eine Woche, bis ich wieder gehen konnte. Ich weiß nicht, ob ich in meinem Leben je wieder auf den Rücken eines Vierbeiners steigen werde. Es ist mein sehnlichster Wunsch, Miss Stewart, daß die Eingeborenen von Oahu eine heidnische Zeremonie haben, bei der sie als Teil eines ihrer Vulkanrituale ein Geschöpf dieser Gattung opfern, und daß der erste Zosse, den sie in den feurigen Krater stoßen, eben jene räudige Schindmähre ist, die mir derartige Qualen zugefügt hat.«
    Mrs. Lyman, ihr Neffe, Miss Adams und die anderen wußten nicht so recht, wie sie dieses Geständnis auffassen sollten. Ich hingegen fächelte mich zufrieden. »Nun, dem Himmel sei’s gedankt, daß es Mr. Burlingame gibt«, sagte ich. »Vielleicht wäre es nur gerecht, wenn er zum zweitbestbekannten ehrlichen Mann an der Westküste würde.«
    Mr. Clemens zog an seiner Zigarre. Die Brise war merklich aufgefrischt, da wir nun die offene See zwischen den Inseln erreicht hatten. »Ein glückliches Schicksal hat Mr. Burlingame eine Reise nach China beschert, Miss Stewart.«
    »In der Tat, Mr. Clemens«, erwiderte ich, »aber wir haben nicht festgestellt, wessen Schicksal von diesem Geschehnis bestimmt wurde, sondern einzig, wer die tatsächliche Arbeit geleistet hat, es zu bestimmen.« Und mit diesen Worten entschwand ich unter Deck, um mit Mrs. Lyman den Tee einzunehmen.
     
    Eleanor Perry ließ das lederne Tagebuch sinken und bemerkte, daß der Dicke zu ihrer Linken sie anstarrte.
    »Interessantes Buch?« fragte der Mann. Sem Lächeln verriet die unehrliche Ehrlichkeit eines Handelsvertreters. Er war Ende Vierzig, ein paar Jahre älter als Eleanor.
    »Sehr interessant«, erklärte Eleanor und schlug Tante Kidders Tagebuch zu. Sie legte

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