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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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nickte kaum wahrnehmbar. »Vor langer Zeit, kurz nachdem die ersten Hawaiianer auf den Inseln siedelten, gab es eine Art Gott namens Ka-moho-ali’i... der König der Haie. Wie die meisten hawaiischen Götter konnte er in seiner ursprünglichen Gestalt — als Hai — auftreten oder als Mensch. Irgendwann verliebte Ka-moho-ali’i sich in eine Menschenfrau namens Kalei. Er kam an der Nordseite dieser Insel — Big Island — aus dem Wasser und nahm die Gestalt eines Mannes an und heiratete Kalei. Sie lebten im Waipio Valley, das von hier aus ganz auf der gegenüberliegenden Inselseite liegt... an der Nordküste. Als ihr Kind geboren wurde, war es ein Junge, dem sie den Namen Nanaue gaben. Das Kind hatte einen leichten Buckel auf dem Rücken, und auf jenem Buckel ein Muttermal... in der Form eines Haifischmauls.«
    Eleanor hielt inne. Cordie lächelte verkniffen. »Weiter, Nell. Ich mag deine Erzählstimme.«
    »Nun, die Legende besagt, daß Ka-moho-ali’i seine Menschenfrau verließ und ins Meer zurückkehrte...«
    »Typisch Mann«, bemerkte Cordie trocken.
    »Er verließ seine Frau, aber er ermahnte sie, niemals jemanden Nanaues Muttermal sehen zu lassen oder dem Jungen zu erlauben, das Fleisch von Tieren zu essen. Kalei fügte sich den Wünschen ihres Mannes und beschützte Nanaue, bis er zum Mann herangewachsen war... sie verhüllte seinen immer größer werdenden Buckel mit kapa -Tuch und achtete darauf, daß kein Fleisch auf seinem Speiseplan stand. Doch als er zum Mann geworden war, aß er im Speisehaus der Männer und legte einen unersättlichen Appetit auf Fleisch an den Tag. Wenn er schwamm — was er immer allein tat — verwandelte er sich in etwas, das mehr Hai als Mann war... einige Versionen besagen, daß er ganz zu einem Hai wurde, andere sagen, daß er immer noch viel von der äußeren Gestalt eines Mannes bewahrte...«
    »Die zweite Variante stimmt«, sagte Cordie. »Erzähl weiter.«
    Eleanor zuckte mit den Achseln. »Das ist schon so ziemlich alles. Irgendwann wurde Nanaues Geheimnis entdeckt. Er hatte die schlechte Angewohnheit, Einheimische ins Wasser zu locken... wobei er Süßwasser wie in dem See unter Waipio Falls bevorzugte... und dort überfiel und fraß er sie. Als die Dorfbewohner sich gegen ihn wendeten, floh er ins Meer, aber er konnte nicht lange im Ozean leben. Die Legenden besagen, daß eine Gruppe von kahuna Nanaue nach Maui jagte, in die Nähe des Dorfes Hana, und dann auf die Insel Molokai. Schließlich wurde er gefangengenommen und zurück nach Big Island gebracht. Hier scheiden sich die Legenden. Einige sagen, er wäre auf dem Puumano in Stücke gehackt worden. Andere sagen, daß er mit den anderen Dämonen und bösen Halbgöttern in die Unterwelt von Milu verbannt wurde, als Pele sie 1866 im Kampf besiegte.«
    Cordie nickte und tippte auf Tante Kidders Tagebuch. »Nun, ich denke, wir wissen, welche Version dieser Geschichte wasserdicht ist.« Sie grinste. »Wenn man es so ausdrücken will.«
    Eleanor lehnte sich in ihrem Liegestuhl zurück. Alles tat ihr weh, obgleich sie nicht zu sagen vermochte, ob es nun von den Anstrengungen des Tages kam oder der starken Anspannung, die er gebracht hatte. Im Osten war der Himmel grau von den Feuern, die sie vorhin gesehen hatte, aber die Brise aus Südwest hielt den Himmel über dem Mauna Pele weiter blau. Eleanor versuchte sich vorzustellen, wie es wäre, einfach nur in diesem Ferienhotel auszuspannen: Tennis zu spielen, in der wunderschönen Bucht zu baden, ohne sich über Haifischmänner Sorgen zu machen, durch die Petroglyphenfelder zu joggen, ohne unterirdische Fackeln zu sehen, und im Dunkeln spazierenzugehen, ohne Angst zu haben, gleich würde jemand hinterrücks aus dem Gebüsch springen. Die Vorstellung war nett, aber langweilig.
    »Ich muß mehr über diese Legenden hören«, sagte Cordie Stumpf unvermittelt und reichte Eleanor das Tagebuch zurück. »Wenn wir heute nacht zusammenarbeiten wollen, muß ich alles wissen.«
    Eleanor seufzte. »Ja, es tut mir leid, daß es so lange gedauert hat.« Sie setzte sich auf. »Du mußt dich da nicht reinziehen lassen, das ist dir doch klar, oder?«
    Cordie lachte ihr unbefangenes Lachen. »Nell, Schätzchen, ich stecke schon längst mittendrin. Und das wird so bleiben, bis wir diese Sache erledigt haben.« Sie schaute über Eleanors Schulter zur Sonne, die sich langsam dem Ozeanhorizont zuneigte. »Und ich vermute, das wird heute nacht sein. Nach Sonnenuntergang kann es hier ganz schön

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