Die Feuer von Eden
strich sich seinen Schnauzer glatt. »Ich widerspreche einer Dame höchst ungern«, sagte er zu der alten Frau, »aber unser Freund ist nicht nur dahingegangen, er ist so kalt und steif wie ein Frosch in einem Winter in Minnesota.«
»Er lebt nicht«, erklärte die alte Frau gedehnt, »aber er ist nicht tot.«
Mr. Clemens und ich sahen einander verständnislos an. »Wer sind Sie?« fragte ich die Alte.
Sie würdigte mich keiner Antwort. Von draußen konnten wir hören, wie die alten Männer von neuem ihren Gesang anstimmten.
»Warum haben Ihre Freunde unseren Freund getötet?« fragte ich die Frau. »Warum haben Sie diesen Dämon heraufbeschworen?«
Die Frau schnaubte verächtlich. »Diese kauwa kahuna — diese landlosen, hirnlosen, fiesellosen Zauberer — sind nicht meine Freunde. Es sind kleine Männer. Sie können mich nicht sehen. Nur ihr könnt mich hier sehen.«
Mr. Clemens und ich tauschten abermals verständnislose Blicke. Die Worte der alten Frau waren absurd, aber alles, was während dieses endlosen Tages und der ebenso endlosen Nacht geschehen war, war mit gesundem Verstand nicht zu begreifen.
»Werden sie uns auch töten?« fragte ich Mr. Clemens.
Es war die Frau, die an seiner statt antwortete. »Sie versuchen gerade, euch zu Tode zu beten. Hört ihr sie? Ihre Gesänge sind nutzlos.«
Mr. Clemens blickte auf unseren leblosen Gefährten. »Nun, ihre Dämonenbeschwörung hat gefruchtet.«
Abermals schnaubte die alte Frau verächtlich. »Das Beschwören von Dämonen ist ein Kinderspiel. Sie sind Kinder. Pana-ewa konnte nur die Seele von einem von euch stehlen, und sie erwählten euren Freund, weil sie ihn für den Mächtigsten hielten, da er euer kahuna war.« Sie spuckte in den Staub. »Sie sind Narren.«
Ich blickte auf das große Loch, in dem das Reptilienwesen verschwunden war. »Wird er... wird es... wiederkommen?«
»Nein«, sagte die Frau. »Es hat Angst.«
»Angst wovor?« fragte Mr. Clemens.
»Vor mir«, erwiderte die alte Frau. Und dann erhob sie sich. Sie stand nicht auf. Sie richtete sich nicht auf. Sie erhob sich einfach, noch immer in sitzender Haltung, bis sie einen Meter über dem Boden schwebte.
Ich starrte sie an und wußte, daß Mr. Clemens’ Gesichtsausdruck ein Spiegelbild meines eigenen sein mußte.
»Hört mich an«, sagte die alte Frau. »Ihr müßt von diesen Ort fliehen. Laßt den Leib eures Freundes hier zurück...«
»Nein, das können wir nicht...«, begann Mr. Clemens.
»Schweig still!« Ich war überzeugt, daß der Schrei der alten Frau vom Vulkan selbst widerhallen mußte. Er brachte Mr. Clemens augenblicklich zum Schweigen, doch draußen sangen die alten Männer unbeirrt weiter.
»Ihr werdet den Leib eures Freundes hier zurücklassen«, erklärte sie. »Ihm wird nichts geschehen. Ich werde persönlich über ihn wachen. Es ist unbedingt notwendig, daß ihr seine Seele zurückholt.«
»Seine Seele...«, setzte Mr. Clemens an, doch dann verstummte er.
»Um das zu tun«, sagte die alte Frau, »müßt ihr zur Öffnung der Unterwelt gehen, die diese kauwa- Narren in ihrer Arroganz und Unwissenheit geöffnet haben. Sie wissen nicht, wie sie sie wieder schließen sollen. In ihren dummen Versuchen, die haole kahuna zu vertreiben, haben sie furchtbare Mächte freigesetzt.
Ihr werdet zur Öffnung der Unterwelt gehen, und ihr werdet in die Unterwelt hinabsteigen«, fuhr sie fort, ihre Stimme auf ganz eigene Weise ebenso rhythmisch wie der Gesang jenseits der Graswände unserer Hütte. »Wenn ihr den Eingang zur Geisterwelt erreicht, werdet ihr euch von den dummen haole -Kleidern befreien, mit denen ihr eure Körper verhüllt...«
Ich blickte auf meinen Rock, meine Weste, meine Bluse, meine Handschuhe und Stiefel. Was war dumm an diesen Kleidern? Ich hatte sie in einem der ersten Geschäfte in Denver gekauft.
»Wenn ihr euch von euren haole -Lumpen befreit habt«, erklärte die alte Frau weiter, »werdet ihr euch mit dem Öl von ranzigen kukui -Nüssen einreiben. Die Geister mögen diesen Geruch nicht.«
Mr. Clemens sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, war aber klug genug, den Mund zu halten.
»Dann nehmt ihr ein Seil aus ieie -Ranken und steigt in die Unterwelt hinab«, sagte die schwebende Alte. Sie hielt warnend einen Finger hoch. »Ihr dürft die Geister und Dämonen und Götter dort nicht wissen lassen, daß ihr keine Geister seid. Wenn ihr verratet, daß ihr lebt, werden Pana-ewa oder seinesgleichen eure Seelen stehlen, und ich werde euch nicht
Weitere Kostenlose Bücher