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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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beistehen können.«
    Ich schloß die Augen in der Hoffnung, daß sich dies alles als ein Traum erweisen würde. Der entfernte Gesang, der Wind, der durch das grasgedeckte Dach strich, der Singsang der Stimme der alten Frau — all dies ging weiter. Ich schlug die Augen auf. Die weißhaarige Alte schwebte einen Meter über den Bankulölflammen.
    »Ihr müßt nicht nur den geraubten Geist eures Freundes finden«, erklärte sie gerade, »sondern all die haole -Geister, die in die Unterwelt gebracht wurden, seit diese Narren vor zwei Wochen den Eingang geöffnet haben. Holt sie alle. Wenn der Eingang wieder verschlossen werden soll, dürfen keine haole -Geister im Reich von Milu verbleiben.«
    Mr. Clemens und ich standen beide so, daß unsere Augen auf gleicher Höhe mit dem dunklen Blick der schwebenden alten Frau waren. »Was, wenn die Männer dort draußen versuchen, uns aufzuhalten?« fragte der Korrespondent.
    »Erschießt sie«, gab sie tonlos zurück. Erst jetzt bemerkte ich, daß die Lippen der alten Frau sich nicht bewegten, wenn sie sprach. Nach allem, was geschehen war, schien mir das nicht über Gebühr sonderbar.
    Mr. Clemens nickte, als ob dies alles einen Sinn ergäbe. »Eins noch«, sagte er. »Oder eher... einiges noch. Ähm... wie sollen wir diesen Eingang zur Unterwelt finden? Und... äh... wo kann man ranziges kukui -Nußöl kaufen und auch einige ieie -Ranken?«
    »Geht!« befahl die Alte und wies uns die Tür. Ihre Stimme hatte den Tonfall einer Mutter, die des dummen Gejammers eines Kindes überdrüssig wurde.
    Wir verließen die Hütte, doch nicht, ohne beide noch einen letzten Blick auf den leblosen Leib von Reverend Haymark zu werfen, der im fahlen Schein der Bankulölflammen auf dem Boden lag. Die alte Frau war auf ihren Platz im hintersten und dunkelsten Winkel der langen Hütte zurückgekehrt.
    Draußen sahen uns die alten Männer an, als wären sie überrascht, daß wir noch am Leben waren. Sie unterbrachen ihren Gesang und kamen auf uns zu, während Mr. Clemens unsere Pferde losband und mir Leos Zügel reichte. Mr. Clemens zog den Revolver unter seinem Rock hervor und zielte auf die nackte Brust des Anführers der kleinen Gruppe. Dann spannte er den schweren Hahn mit einem hörbaren Klicken. Der Hawaiianer hob die Hände, zeigte einen einzelnen Zahn in einem unterwürfigen Grinsen und wich zurück.
    »Manchmal hilft auch haole -Magie«, bemerkte Mr. Clemens, als er sich auf sein Pferd schwang. Wir verließen das kleine Dorf auf demselben Weg, auf dem wir gekommen waren, und ritten vorsichtig über die tückischen Lavaterrassen hangabwärts.
    Hinter uns, jenseits des rauchenden Vulkans, zeigte sich schon der helle Schein der Morgendämmerung im Osten.
    »Was sollen wir tun?« fragte ich, als wir weit genug vom Dorf entfernt waren.
    Mr. Clemens steckte den Revolver weg. »Das Vernünftigste wäre es, nach Kona zu reiten und Hilfe zu holen. Es ist das einzig Vernünftige.«
    Ich blickte zurück zu den dunklen Felsen in der Ferne, die das Dorf vor unseren Blicken verbargen. »Aber Reverend Haymark...«
    »Glauben Sie tatsächlich, daß wir ihn wieder zum Leben erwecken können?« sagte Mr. Clemens, seine Stimme so scharf wie die Steine, durch die unsere Pferde stampften. »Schließlich ist ein derartiges Wunder schon seit etlichen Jahren nicht mehr erfolgreich gelungen«, fügte er an.
    Ich schwieg. Meine Kehle war rauh, und ich muß gestehen, daß ich den Tränen gefährlich nahe war.
    »Ach, was soll’s«, seufzte der Korrespondent. »Nichts an dieser Geschichte war vernünftig. Es besteht kein Grund, jetzt mit der Vernunft anzufangen. Wir werden in die Geisterwelt gehen.«
    »Aber wie sollen wir sie finden?« fragte ich und rieb mir die Augen.
    Mr. Clemens brachte sein Pferd zum Stehen. Leo und ich waren ihnen dichtauf gefolgt, und ich hatte nicht einmal nach vorn geblickt, seit wir das Dorf verlassen hatten. Jetzt tat ich es. Zehn Meter vor Mr. Clemens’ Pferd, schwebend über der a’a wie ein Irrlicht, tanzte eine Kugel aus blauem Feuer zwei Meter über dem schmalen Pfad, schien auf uns zu warten wie ein geduldiger Bergführer, der eine Rast einlegte, bis seine trödelnden Kunden zu ihm aufschlossen.
    »Hü!« rief Mr. Clemens, und sein Pferd setzte sich wieder in Bewegung und suchte sich vorsichtig einen Weg durch den Basalt. Das Irrlicht schwebte vor uns her wie ein Hund, den man zum Spielen von der Leine gelassen hatte.
    Ich warf einen Blick auf den langsam heller werdenden Himmel,

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