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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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und durcheinander wie die a’a -Blöcke um uns herum.
    Wir erreichten das heruntergekommene Dorf gegen Nachmittag. Ich war zu erschöpft, um auf meine Uhr zu sehen. Die Männer des Dorfes waren nirgends zu entdecken, was mich etwas beruhigte. Ich hatte befürchtet, daß Mr. Clemens etliche von ihnen würde erschießen müssen, um sie davon zu überzeugen, uns in Frieden zu lassen. Mein forscher Gefährte schien diese Erleichterung zu teilen, denn er wirkte gelöster, als er dies seit meiner Zurückweisung am Fluß getan hatte. Er half mir von Leo herunter, der mittlerweile lautstark röchelte, so wie Pferde es tun, wenn sie kurz vor dem Kollaps stehen.
    Die alte Frau erwartete uns schon in der Hütte, ebenso wie der leblose Leib von Reverend Haymark. Ich hockte mich neben den Leichnam des Geistlichen und suchte aufmerksam nach den ersten Anzeichen einsetzender Verwesung, die mich überzeugen würden, daß die Geschehnisse der vergangenen Stunden nur ein Opiumtraum gewesen waren.
    Der Leib des Missionars war unverändert reglos und kalt, wies jedoch keins der Symptome auf, die zwölf Stunden wahren Todes unweigerlich mit sich bringen würden.
    »Ihr habt sie gebracht«, sagte die alte Frau. Es beruhigte mich etwas zu sehen, daß sie nicht mehr in der Mitte des Raumes schwebte, sondern gleich mir auf einer der gewebten Matten saß.
    Mr. Clemens hielt die Kokosnuß hoch.
    »Gut«, sagte die alte Frau. Ich studierte ihr Gesicht, war nun jedoch nicht mehr überzeugt, daß es sich bei ihr um dieselbe Person wie die schöne junge Frau an der Felsspalte handelte. Aber ich war zu erschöpft, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen.
    Die alte Frau versetzte mir eine Ohrfeige. Schockiert hob ich die Hand an meine brennende Wange.
    »Du mußt wach sein, um dieses Werk zu vollbringen«, erklärte sie. »Du mußt jeden Schritt verstehen und im Gedächtnis behalten. Wenn dir ein Fehler unterläuft, wird der Geist eures kahuna -Freundes für immer verloren sein.«
    Ich starrte sie nur an.
    »Ich werde es tun«, sagte Mr. Clemens und trat zwischen die alte Frau und mich.
    Sie schüttelte ihren ergrauten Kopf. »Nur die Frau, die eine Jüngerin von Pele ist, kann es tun.«
    »Ich bin keine Jüngerin von Pele«, wand ich ein, die Lippen noch immer taub von der Ohrfeige. »Ich bin eine Christin aus Ohio.«
    Die alte Frau lächelte nur. Sie hob eine Kürbisflasche mit einer milchigen Flüssigkeit darin. »Trink dies«, befahl sie.
    Ich blickte argwöhnisch auf die zähe Flüssigkeit, gehorchte jedoch. Binnen Sekunden durchströmte mich eine sonderbare Kraft.
    »Und nun werden wir beginnen«, erklärte die alte Frau.
    Mit einem Mal erscholl gewaltiger Lärm an der offenen Hüttentür. Mr. Clemens sah über meine Schulter und murmelte: »Großer Gott.«
    In der Tür stand der riesige Eber aus der Unterwelt von Milu und füllte den gesamten Eingang aus. Mir blieb das Herz stehen.
    Die alte Frau stockte nicht einmal in ihren Vorbereitungen. »Er kann nicht eintreten«, erklärte sie barsch. Sie legte eine knorrige Hand auf meinen Kopf, blickte den Eber an und sagte: »Kamapua’a, wisse, daß diese haole wahine und all ihre Nachkommen durch meine Berührung gesegnet sind. Sie stehen unter Peles Schutz. Du darfst ihrem Leib kein Leid zufügen.«
    Der Eber schnaubte zornig, doch dann lächelte er. »Aber ich kann ihre Seelen fressen.«
    »Du kannst nicht eintreten«, erklärte die Frau. »Du hast keine Macht über diese Hütte. Ich habe die Kraft von Kilauea beschworen. Du hast hier keine Macht.«
    Der Eber scharrte in seinem unmenschlichen Zorn mit den Hufen.
    »Paß gut auf«, sagte die alte Frau. »Jeder Schritt muß korrekt ausgeführt werden, oder die uhane eures Freundes wird auf immer verloren sein.«
    Und dann hob der Gesang an. Das Ritual begann.
     
    Als Cordie wieder zu sich kam, lag sie inmitten eines Gewirrs aus abgebrochenen Palmwedeln. Es gab keinen Moment der Benommenheit und Verwirrung: Sie wußte ganz genau, wo sie war und was passiert war, bevor sie das Bewußtsein verloren hatte. Sie erinnerte sich an die Kreaturen, die ihnen den Weg versperrt hatten, an Pauls panischen Versuch, den Jeep zurückzusetzen, den umstürzenden Baum und ihren eigenen Sturz über den Rücksitz des Fahrzeugs. Was sie nicht wußte, war, ob all dies vor dreißig Sekunden oder drei Stunden passiert war. Es regnete noch immer, allerdings nun nicht mehr so stark wie bei ihrer Rückfahrt von Eleanors hale. Das hatte wenig zu sagen — über die

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