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Die Feuer von Eden

Titel: Die Feuer von Eden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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Zentimeter breiten Spalt geschleift und ihn aufgefressen?«
    »Nein, aber... Scheiße!« sagte Dillon. Ihm war gerade aufgegangen, was mit den Augen des Schweins nicht stimmte. Es waren zu viele. Wenigstens vier auf jeder Seite der riesigen Schnauze — klein und dicht zusammenstehend, aber nun deutlich einzeln erkennbar, als das Schwein auf vielleicht sechs, sieben Meter an die beiden Sicherheitschefs herangekommen war. Dillon schwenkte den Lichtkegel der Taschenlampe kurz zur Seite. Die Augen leuchteten noch immer rot, wie von einem inneren Feuer.
    Dillon schwenkte die Taschenlampe gerade rechtzeitig zurück, um zu sehen, wie das Schwein die Lefzen hochzog. Die Zähne waren keine Schweinezähne; sie sahen aus wie das Gebiß eines Jaguars — ein ganzes Maul voller spitzer Reißzähne. Auch die Zähne leuchteten.
    »Mein Gott...«, entfuhr es Briggs, und er zog die .38er wieder hoch.
    In diesem Moment bewegte sich das Schwein unvorstellbar schnell; seine Hufe huschten scharrend über das Blut und die schwarze Lava, seine Zähne blitzten, während es auf die beiden Männer zustürmte. Explosionen und zuckende Lichtblitze erfüllten den Tunnel, als Briggs und Dillon das Feuer eröffneten.
     
    15. Juni 1866, Volcano House
    Ein äußerst denkwürdiger Tag. Ich bin so erschöpft von den Strapazen der vergangenen Nacht und den überstürzten Entscheidungen des heutigen Tages, daß ich kaum die Kraft aufbringe, meine Feder zum Papier zu führen.
    Wenn ich letzte Nacht überhaupt schlief, dann war es ein unruhiger Schlaf, erfüllt von Visionen des Vulkankessels und Alpträumen von Dämonen. Alle waren früh auf, selbst wir drei Kraterpilger, um mehr über das Martyrium der fünf Missionare zu erfahren, die auf ihrer Flucht nach Hilo hier Unterschlupf gefunden hatten.
    Mr. Clemens, Reverend Haymark, Hananui und ich trafen kurz vor Morgengrauen am Vulkanhotel ein, wir drei zu erschöpft von unseren Strapazen, um auch nur miteinander zu reden, doch zutiefst überrascht, als wir das Volcano House hell erleuchtet und voll von aufgeregt plappernden Menschen vorfanden.
    Hananui hatte die Dramatik der Geschehnisse nicht übertrieben. Fünf Angehörige der Kona-Mission — drei Frauen, ein kleiner Junge und ein alter Mann — waren mitten in der Nacht hier eingetroffen, begleitet von zwei christlichen Eingeborenen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um die haoles (die Weißen) über den Vulkan in Sicherheit zu bringen. Es gab einfachere Wege nach Hilo — der kürzeste ist ein unwegsamer Pfad entlang des Tals zwischen den mächtigen Vulkanen Mauna Kea und Mauna Loa —, aber die Missionare waren überzeugt, daß sie auf jenem Weg in einen Hinterhalt geraten würden, und so nahmen sie lieber die Strapazen der weit längeren und schwierigeren Route über den Vulkan auf sich.
    Ich sollte die Namen der Flüchtlinge erwähnen: Miss Charity Whister (die Schwester von Reverend Whister aus Kona), Mr. Ezra Whister (Reverend Whisters betagter Vater), Mrs. Constance Stanton (Reverend Whisters verheiratete Tochter), Mrs. Stantons neunjähriger Sohn Theodore und Mrs. Taylor, die Schwester des zweiten Pastors der Mission. Alle fünf Flüchtlinge waren sehr mitgenommen, doch Mrs. Stanton faßte für uns kurz die schrecklichen Geschehnisse der vorletzten Nacht zusammen, die diese kleine Gruppe zur Flucht über das vulkanische Hochland getrieben hatten.
    Wie es scheint, waren Reverend Whister (den Reverend Haymark kurz in Honolulu kennengelernt hatte) und seine Gruppe von Missionarsfamilien vor zehn Monaten in Kona eingetroffen. Obgleich die Wilden an dieser unberührten Küste nach Mrs. Stantons Ansicht dringend der Errettung bedurften, scheint es doch, daß schon eine andere Mission in Kona Wurzeln geschlagen hatte. Reverend Haymark erklärte später, daß es sich dabei um die Kona-Kirche des berühmten Reverends Titus Coan handelte, des Freundes und Ratgebers des noch berühmteren Reverends »Father« Lyman aus Hilo. Selbst ich hatte während meines Aufenthalts in Hilo von Mr. Coan gehört: Der bemerkenswerte Gottesmann hatte mehr als einmal per pedes und Kanu die 300-Meilen-Reise um die Insel herum gemacht und dabei überall kleine Kirchen errichtet und, nach seiner eigenen Schätzung, gut 12000 Erwachsene und 4000 Säuglinge getauft und dem Schoß von Mutter Kirche zugeführt. Im Lichte dieser Bemühungen galt die Loyalität der Eingeborenen ganz Reverend Coan und seinen Nachfolgern, was einen schweren Stand für die schlichte

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