Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
Sekretär.
Puti suchte in den Augen des Dolmetschers nach einem zustimmenden Blick, einem Verbündeten für seinen Einwand, doch Membré starrte ihn nur mit leeren Augen an. Nach einem letzten Zögern ging der Arsenalotto auf den Alten zu, nahm ihn am Arm und führte ihn in die Mitte des Zimmers, wo er den von der Decke hängenden Strick ergriff und ihm die Arme hinter dem Rücken fesselte.
Der Alte kannte diese Folter und hatte sie erwartet. Darum hatte er sich in den zwei Wochen Gefangenschaft darauf vorbereitet, indem er so wenig wie möglich gegessen hatte, um sein Gewicht zu reduzieren. Und er hatte in der Stille seiner Zelle die Muskeln seiner Arme, der Brust und der Schulterblätter gekräftigt, indem er einen der schweren Steine anhob, die als Füße für die Pritsche dienten. Denn nur mit einem leichten und kräftigen Körper ließ diese Folter sich ertragen. Nun war für ihn die Zeit gekommen, das Schicksal herauszufordern, damit er die Aufgabe erfüllen konnte, die er sich gestellt hatte. Er spürte, wie der Strick sich straffte und seine Arme nach oben reißen wollte. Also beugte er Kopf und Oberkörper nach hinten, damit die am Rücken liegenden Handgelenke das Auskugeln der Schultergelenke verhinderten. Er spürte, wie er hochgezogen wurde, schloss die Augen und konzentrierte sich auf seinen Willen, zu überleben.
4
Die mascaréta glitt über das Wasser des Canal Grande, angetrieben von kräftigen Ruderschlägen. Seit seinem Auszug aus dem Palazzo hatte Andrea Loredan Geschmack daran gefunden, sein Leben Tag für Tag mit einfachen Mitteln selbst zu gestalten. Zum Beispiel bewegte er sich jetzt wieder, wie früher als Junge, mit seinem eigenen Boot durch Venedig. Und es war eine große Freude für ihn gewesen, die gondola de casada mit dem ewigen Katzbuckeln von Tonio, dem Gondoliere seiner Familie, zu verlassen und sich beim Rudern Schwielen an den Händen zu holen.
Andrea hatte die Mascaréta gebraucht gekauft, dreißig Dukaten hatte er dem Zimmermann der Loredan dafür gegeben, dessen kleine Werft im Viertel Dorsoduro direkt hinter San Trovaso lag. Sie war ein robustes, wendiges Boot mit flachem Kiel und symmetrischem Körper mit Planken aus Mahagoni und Rippen aus Lärche, fünfzehn mal drei Fuß. Andrea ruderte so, wie die Fischer in den seichten Gewässern der barene es ihn gelehrt hatten: vom Heck aus, aufrecht stehend, leicht nach vorn gebeugt, so dass er mit seinem Körpergewicht gegen die in Riemengabeln aus Wurzelholz liegenden Ruder drücken und sie bei jedem Stoß kreuzen und drehen konnte, wobei die Ruderblätter sich flach aus dem Wasser hoben. Er hatte dieses Boot gekauft, weil es leicht zu führen war, auch für Taddea, und es hatte ein kleines Gaffelsegel aus weinrotem Leinen, das, wenn es Wind von hinten bekam, die Mascaréta so schnell machte wie eine Galeere.
Mit einem exakten Manöver bog Andrea in den Rio delle Fornaci ein, direkt hinter dem Palazzo Dario. Hinter dem Ponte Bastion sah man schon die Mündung auf den Canale della Giudecca. Andrea schätzte, dass er, wenn er das kleine Segel gleich nach der Einfahrt in die Lagune aufziehen würde, mit Hilfe des leichten Windes, der vom Heck her wehte, das Kloster San Giacomo in weniger als einer Viertelstunde erreichen müsste.
Denn dorthin, in das große, vom Orden der Serviten geführte Haus des Gebets auf der Giudecca-Insel hatten sich, nach einem kurzen Aufenthalt in ihren Elternhäusern, die Nonnen der Celestia zurückgezogen. Das freundliche Billet mit einer Antwort auf seine Bitte um Audienz war Andrea an diesem Morgen zugestellt worden. Der Prior selbst hatte es geschrieben, er lud Andrea ein, eine Stunde vor der Vesper in das Kloster zu kommen.
Andrea erhoffte sich von einem Gespräch mit den älteren Ordensschwestern eine Antwort auf die Fragen, die er sich seit jener Nacht stellte: Warum hatte die Äbtissin ihm geschrieben und um seinen Besuch gebeten? Warum hatte sie sich kurz vor ihrem Tod ausgerechnet an ihn gewandt und ihn liebevoll wie eine Mutter behandelt? Und warum galten ihm diese mit so großer Mühe ausgesprochenen Worte, die letzten eines ganzen Lebens, die sie leider nicht hatte beenden können? All diese Fragen wirbelten seither in seinem Kopf herum wie Fieberträume. Wenn es sich um eine Verwechslung gehandelt hatte, konnte er darüber nur Gewissheit erlangen, indem er das Leben der Äbtissin kennenlernte. Vielleicht war Andrea ihr wirklich vor langer Zeit einmal begegnet. Umso mehr wünschte er,
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