Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
herausspringen. Beim dritten Reißen am Strick hatte der Florentiner das Bewusstsein verloren, jetzt drehte er sich, das bartlose, magere Gesicht auf die Brust geneigt, langsam um seine eigene Achse wie ein zum Trocknen aufgehängter Stockfisch. Die zaffi , Sbirren im Dienst der Zehn unter Leitung des Missièr Grande, hatten ihn um fünf Uhr nachts aus einem Zimmer im zweiten Stock der Campana geholt, einem Wirtshaus in der Nähe des Rialto. Er war in Begleitung eines jungen Mönchleins, eines gewissen Angelo Riccio aus Padua, mit dem er sich in widernatürlichen Handlungen erging.
Die Zehn hatten beschlossen, Bartolomeo Puti zu holen, damit er den Florentiner der Behandlung mit dem Strick unterzog. Das Mönchlein saß derweil in einer der vier Zellen, die sich direkt über der Folterkammer befanden und durch eine Treppe mit ihr verbunden waren. Von diesem winzigen Verlies aus konnte der Frate die Phasen des Verhörs verfolgen, sich den Geliebten unter der Folter vorstellen und so in Erwartung seiner Rückkehr überlegen, ob es besser sei, zu gestehen oder zu schweigen. Puti war ein regelrechter Fachmann darin, die Verhörten zum Sprechen zu bringen: ein Mann um die fünfunddreißig, gottesfürchtig, aber hart zu den Menschen. Der Einzige in Venedig, der imstande war, die Marangona von San Marco allein, aus eigener Kraft zu läuten. Muskeln und Charakter hatte er sich im Arsenale erworben, beim Sägen und Hobeln von Bootswänden. Die Explosion hatte seinen jüngsten Bruder getötet, und auch darum hatten die Zehn ihm diese Aufgabe anvertraut.
»Lasst ihn runter.«
Zuàne Formento, der zweite Sekretär des Rates der Zehn nach Milledonne, erhob sich hinter seinem Schreibtisch und ging zu dem Gefangenen. Mit Armen, jeder so dick wie der Bugspriet eines Schiffes, ließ Puti ihn langsam herab, wobei er ruckartige Bewegungen vermied, damit die Schultergelenke nicht auskugelten. Ein Gehilfe entfernte das dreistufige Podest in der Mitte des Raumes und breitete eine Decke auf dem Boden aus. Der Arsenalotto nahm den Körper und bettete ihn bäuchlings auf das Tuch, das Gesicht zur Seite gedreht, damit er atmen konnte.
»Zu viele Erschütterungen, der stirbt.«
Formento hatte mit lauter Stimme gesprochen, damit das Mönchlein in seiner Zelle ihn hören konnte. Dann beugte er sich über den Gefangenen und hielt ihm einen mit Essig getränkten Schwamm unter die Nase. Der zuckte zusammen, fing an zu husten und zu zucken wie ein Ertrinkender. Dann riss er plötzlich die Augen auf, der Käfig seines Brustkorbs weitete sich mit einem Röcheln, und sein Atem kehrte zurück.
»Wie fühlt Ihr Euch?«, fragte der Sekretär sofort in besorgtem, durchaus nicht ironischem Ton. Denn wäre der Mann gestorben, hätte er trotz des Inquisitionsrituals und obwohl die Verhöre geheim waren, Schwierigkeiten bekommen. Er zog ein Taschentuch heraus und trocknete dem Gefangenen die Stirn. Der starrte ihn mit geweiteten Pupillen an, keuchend wie ein Tier, das den Gnadenstoß erwartet.
Man hörte ein Knarren, und Formento blickte zur Treppe und der darüberliegenden Zelle, gerade rechtzeitig, um, im Halbdunkel verborgen, zwei um die Gitterstäbe geklammerte Hände und ein Gesicht zu erblicken.
»Signor Tomei, glaubt Ihr, es gefällt mir, Euch so zu behandeln?«, sagte der Sekretär. »Versucht mich zu verstehen, es ist meine Pflicht, Euch zu verhören, und Euer Geständnis würde genügen, um diese für alle unangenehme Situation zu beenden.«
»Ich habe nichts getan«, murmelte Tomei zwischen zwei Atemzügen.
Formento lächelte ihn mitleidig an. »Ich weiß, dass Ihr unschuldig seid«, sagte er in einem so schmeichlerischen Ton, dass man ihm eine Neigung zum eigenen Geschlecht hätte unterstellen können. »Aber ich frage Euch noch einmal: Kennt IhrSignor Nassì? Josef Nassì, den Herzog von Naxos, ein abtrünniger Marrane, ein Verräter, den man hier in Venedig Giovanni Miches nennt?«
Tomei konnte ein paarmal erschöpft den Kopf schütteln.
»Nein, ich kenne ihn nicht.«
Der Sekretär fuhr ihm mit dem Zeigefinger sanft über den Hals. Vergeblich versuchte der Florentiner, sich der Berührung zu entziehen.
»Warum zeichnet Ihr Galeeren, Galeassen und Koggen? Und macht Skizzen von den Mauern des Arsenale, präzise wie die Pläne eines Baumeisters?«
»Ich bin Maler.«
»Ja, gewiss, Ihr seid ein Künstler.« Der Sekretär stand auf und tat ein paar Schritte durch den Raum, als müsse er über die Behauptung nachdenken. Dann drehte er
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