Die Feuer von Murano: Ein Venedig-Roman (German Edition)
erfreut. Die folgenden wurden zu einem sehnlich erwarteten Geschenk, das ihm geholfen hatte, nicht aufzugeben. Auch in dieser Nacht musste er seinen Weg weitergehen. Ein stärkerer Windstoß drückte gegen das Türchen und bewegte es, als wollte er Andrea auffordern, einzutreten.
Die Glashütte empfing ihn mit einem Schwall warmer Luft in dem kurzen Korridor, der das Zimmer des paròn und das Empfangszimmer für die Kunden mit dem großen Raum verband, wo das Glas verarbeitet wurde. Am Ende des Korridors gab es eine Tür mit einem Fensterchen aus farbigen, runden Glasscheiben in einer Bleifassung. Hinter dieser Tür lag der Raum mit den Brennöfen, deren Münder nach Süden zeigten, darum hatte Andrea erwartet, den Feuerschein durch das Fensterchen zu sehen. Doch hinter dem Fensterchen war es dunkel. Er stieß die Tür auf. Der Raum war leer, die Klappen der Öfen geschlossen. Nur das Heulen des Windes zwischen den Dachziegeln und Tragbalken. An einer langen Kette hing eine brennende Laterne, die Luftzüge in dem Raum ließen sie schwanken, was das Gefühl der Leere verstärkte. Andrea blickte sich suchend um. Wo waren Pierin, Sgorlon und Tapegio und die Männer, die nachts die fritta zubereiteten, die Werkzeuge säuberten und bereitlegten? Wo waren die Regale voller Blasrohre, Scheren, Zangen, Klemmen, Pinzetten, Schneidwerkzeuge, Kellen, Lötkolben, Schmelztiegel, Waagen und Gussformen, die zum Bearbeiten des Glases dienten? Nur der scagno stand noch dort: ein breiter Schemel aus Holz und Metall, auf dem der Meister das Rohr drehte, um das Glas zu formen. In einer Ecke ein hoher Stapel Erlenreisig, der pyramidenförmig bis zur Decke reichte,außerdem mehrere Säcke mit »syrischer Asche«, der Sodaasche, die als Flussmittel beim Schmelzen verwendet wurde. Von allen anderen benötigten Materialien und vom lebhaften, produktiven Treiben der Glashütte war keine Spur mehr zu sehen.
Andrea nahm die Laterne vom Haken und ging in das Kalte Zimmer, das er von Gläsern überquellend erinnerte. Auch dieser Raum war zu einer großen leeren Hülle aus Backsteinen geworden, man hatte sogar die Tische entfernt. Nur die Kälte war geblieben. Er dachte an Dragans letzten Brief, der von einer emsig arbeitenden Hütte berichtete, von Aufträgen für das ganze nächste Jahr. »Wie sie den anspruchsvollsten Paròn glücklich machen«, hatte er geschrieben.
Als er in die Halle mit den Brennöfen zurückkehrte, spürte Andrea deutlich, wie die Temperatur wechselte: Von der Eiseskälte des Lagers kam man in die Wärme der Werkstatt. Also hatte er sich getäuscht, der nur scheinbar tote Organismus trug warmes Leben in sich. Sein Blick ging zu den drei Öfen, er trat zum größten, dem Kegel mit den drei Mündern, in dem das Glas geschmolzen wurde. Beim näheren Hinsehen erkannte er im grauen Halbdunkel, dass der Rand einer der Klappen über den Ofenmündern golden schimmerte. Das war Feuer! Er berührte die Wand und spürte die Hitze. Seine Hand näherte sich dem breiten Griff des Türchens.
»Halt! Da drin ist Feuer!«
Andrea wandte sich um. Die Tür zum Korridor hatte sich geöffnet, auf der Schwelle stand Jacomo Dragan, einen Stock in der Hand, und fixierte ihn.
»Maestro Dragan! Ich bin’s, Andrea!«
Mit verblüffter Miene kniff Jacomo die Augen zusammen und neigte den Kopf.
Andrea ging auf ihn zu, und als beim Näherkommen mehr Licht auf ihn fiel und seine Gestalt sich deutlicher abzeichnete, wich Jacomos Misstrauen erst einem Lächeln, dann heller Freude. Er hatte ihn erkannt.
»Andrea …«, stammelte er und ließ den Stock fallen.
So verharrten sie eine Weile, einander gegenüberstehend. Jacomo von zu großer Rührung erfasst, um sich bewegen zu können, Andrea überrascht, weil er sah, wie die Augen des Alten sich mit Tränen verschleierten, seine Hände zu zittern begannen und sein Atem keuchend ging. Noch überraschter war er, als Jacomo plötzlich ungestüm auf ihn zukam, die Arme ausbreitete und ihn an sich drückte. Andrea, der ihn nicht durch sein Zögern beschämen wollte, erwiderte die Umarmung.
Der Alte löste sich und blickte ihm in die Augen.
»Andrea! Darf ich Euch so nennen?«
»Natürlich, Maestro.«
»Jacomo«, berichtigte er. »Nennt mich Jacomo. Das wäre mir angenehmer.«
Andrea nickte lächelnd.
»Francesco d’Angelo hat mir von Eurer Rückkehr erzählt«, sagte er. »Vorgestern ist er hergekommen, um Euch zu suchen. Er hängt sehr an Euch.«
Andrea musterte ihn fragend. »Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher