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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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willen«, versicherte Aeneas, »ich würde nie gegen einen Gott kämpfen, wenn du es nicht von mir verlangst. Wenn du damit zufrieden bist, die Braut des Sonnengottes und keines Mannes zu sein …« Er trat einen Schritt zurück. »Es soll so geschehen, wie du willst. Aber ich schwöre bei Apollon« - er führte ihre schlanke Hand ehrfürchtig an die Lippen - »ich werde immer dein treuer Freund und Bruder sein, und wenn du je meine Hilfe brauchst, dann schwöre ich, ich werde dir gegen jeden Mann beistehen - oder gegen jeden Gott.«
    Innerlich aufgewühlt sagte Kassandra: »Ich danke dir. Ich werde immer deine Freundin und deine Schwester sein, was auch geschehen mag.«
    Er hielt sie sanft an den Schultern. »Kassandra, Liebe, du siehst nicht glücklich aus. Bist du in Apollons Tempel wirklich zufrieden?«
    »Wenn es so wäre«, flüsterte sie, »wäre ich vor dir davongelaufen, ehe es soweit hätte kommen können.«
    Sie löste sich von ihm und verließ ruhig den Palast. Aber ihr Herz schlug so laut, daß sie glaubte, Aeneas müsse es gehört haben. Auf dem langen Weg zum Tempel hinauf spürte sie, wie ihr ungeweinte Tränen in die Augen traten.
    Ich möchte mein Gelübde nicht brechen. Ich habe Apollon Treue gelobt, und ER hat mich verstoßen, lch würde IHN nie mit einem Sterblichen betrügen, und doch hat mich dieser gotteslästerliche Priester im Tempel in Ungnade gebracht. Seinetwegen bin ich in ihren Augen entehrt, obwohl ich völlig unschuldig bin.
    Hatte die Göttin, der sie bei den Amazonen gedient hatte, gegen IHRE Priesterin die Partei eines Mannes ergriffen? Konnte ein Gott, wenn ein Mann und eine Frau miteinander kämpften, einfach nicht Partei für eine Frau ergreifen, gleichgültig, auf wessen Seite das Recht lag? Sie war Eigentum des Gottes, und das war dasselbe, als hätte sie einen Sterblichen geheiratet.
    Aber Khryse und ich gehören beide Apollon, und deshalb sollten wir vor  IHM  gleich sein.
    Sie erreichte das große Bronzetor, und der Wächter verneigte sich ehrerbietig vor ihr.
    »Du bist noch spät unterwegs, Prinzessin. «
    »Ich komme vom Palast meines Vaters und meiner Mutter«, erwiderte sie. »Ich wünsche dir eine gute Nacht.«
    »Gute Nacht, Herrin«, sagte er, und sie ging zu den Gemächern im hinteren Teil des Tempelbezirks, wo die Frauen schliefen. Sie schlüpfte aus ihren Sandalen, streifte das Gewand ab und legte sich schlafen.
    Ihre Augen brannten immer noch, und als sie sich entspannte, rannen ihr ungewollt Tränen über das Gesicht. Die Erinnerung an Aeneas’ Umarmung kam zurück, und in Gedanken überließ sie sich kurz seiner Liebe. Wenn sie wollte, konnte sie Aeneas ihrer Halbschwester nehmen, und Kreusa wäre nicht einmal böse auf sie; sie würde sich freuen, von ihren ehelichen Pflichten entbunden zu sein …
    Wem würde es schaden, wenn sie Aeneas nachgab? Sollte sie ihr Gelübde wirklich vergessen, da es ihr nichts Gutes gebracht hatte? Oder war das alles eine Versuchung der fremden Göttin der gesetzlosen Liebe? Dann verblaßte das Gesicht von Aeneas beim Gedanken an das strahlende Gesicht des Sonnengottes, an die weiche, unvergeßliche Melodie, die in seiner Stimme lag, als er gesagt hatte:  Kassandra  …
    Beim Einschlafen dachte sie noch:  Wie kann eine Frau einen Sterblichen einem Gott vorziehen?  Vielleicht war es besser, vom Sonnengott vergessen oder nicht beachtet zu werden, als von einem Mann geliebt oder verehrt…

8
    In der Stadt breitete sich das Gerücht aus, die Achaier hatten aufgegeben und würden nicht zurückkommen. Kassandra wußte es besser, denn wenn sie vom Tempel des Sonnengottes hinunterblickte, sah sie manchmal immer noch flüchtig, wie die Stadt von den Flammen verschlungen wurde. Diese kurzen Visionen erinnerten sie auch daran, daß ihr die Sehergabe nicht genommen worden war. Aber ihre Fähigkeit, in die Zukunft zu blicken, brachte weder ihr noch einem anderen irgendwelchen Nutzen. Wenn sie davon sprach, hörte niemand auf sie.
    Oh, Apollon. Was immer mir genommen worden sein mag, es wird der Tag kommen, an dem sie sich daran erinnern, was ich gesagt habe, und dann werden sie wissen, daß ich nicht gelogen habe.
    Manchmal dachte sie auch: Die Sehergabe ist für mich nur ein Fluch, denn niemand glaubt, was ich sage. Warum muß ich unter dem Wissen leiden, ohne damit etwas anfangen zu können? Aber wenn sie darum beten wollte, daß ihr diese Gabe genommen würde, dachte sie:  Nein! Wieviel schlimmer ist es, blind und unwissend dem

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