Die Feuer von Troia
gesund. Ich kann nichts über sein Schicksal sagen. «
Sie legte Paris das Kind in die Arme. Er beugte sich zu Helena hinunter. Kassandra verschleierte sich.
»Verläßt du uns, Schwester?« fragte Helena. »Ich hatte gehofft, du würdest bleiben und mit uns essen, denn Paris wird bald wieder gehen. «
»Nein, ich muß hinunter zum Markt«, erwiderte Kassandra, »wie ich schon gesagt habe, wir haben bei dem Erdbeben alle unsere Schlangen verloren. Die meisten sind tot. Die anderen haben uns verlassen und sich tief in die Erde zurückgezogen. Sie werden nicht mehr zurückkommen, und Apollons Tempel kann nicht ohne Schlangen sein. Ich muß sie ersetzen.«
»Welch ein merkwürdiges Omen«, bemerkte Kreusa, »was kann das bedeuten? Was meinst du?«
Kassandra zögerte. Sie wollte die anderen nicht erschrecken oder Paris oder ihre Mutter zornig machen, indem sie wiederholte, was die beiden nicht hören wollten. Aber schließlich sagte sie: »Ich glaube, die Götter zürnen der Stadt. Es ist nicht das erste schlimme Vorzeichen.«
Paris lachte. »Es hat nichts mit einem schlechten Vorzeichen zu tun, daß Schlangen sich bei einem Erdbeben tief in die Erde verkriechen. Schlangen tun das eben. Am Ida habe ich das oft genug beobachtet. Aber es tut mir leid, daß du deine Schützlinge verloren hast.« Er drückte ihr leicht den Arm. »Geh nur auf den Markt, Schwester, und triff deine Wahl sorgfältig. Vielleicht werden die neuen Schlangen auch bei einem Erdbeben treu bleiben.«
»Das gebe Apollon«, sagte Kassandra inbrünstig und verließ rasch das Gemach.
Sie beschloß, noch kurz Andromache zu besuchen.
»Kassandra!« rief Andromache erfreut. »Ich wußte nicht, daß du hier bist. Hat man dich wegen der Geburt rufen lassen?«
»Ja«, erwiderte Kassandra und umarmte ihre Freundin. »Helena hat einen Sohn, und beide sind wohlauf.«
»Ich habe gehört, daß es ein Junge ist«, sagte Andromache, »die Amme hat es mir erzählt, als sie kam, um die Kinder zu holen. Aber -«, sie lächelte spöttisch, »Helena hat einen Sohn - nicht Paris? Schäm dich, Kassandra, so etwas auch nur zu denken!«
»Du solltest dich schämen, Andromache, aus meinen Worten so etwas herauszuhören«, tadelte Kassandra, »wer war dein Vater? Du weißt sehr gut, daß ich lange genug bei den Amazonen gelebt habe, um der Ansicht zu sein, daß ein Kind der Mutter gehört - besonders, wenn ich gerade bei seiner Geburt anwesend war. Also wenn Paris in den Wehen dort gelegen hätte… «
Die beiden Frauen fielen sich lachend in die Arme. »Das würde ich gerne einmal sehen«, sagte Andromache, »und verdient hätte er es!«
Kassandra richtete sich plötzlich auf und zitterte. Sie sah Paris, der sich vor Schmerzen krümmte. Er lag in der Hütte, wo er mit Oenone gelebt hatte. Oenone beugte sich über ihn und wischte ihm mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn. Auf dem Boden lag ein goldener Brustharnisch.
»Kassandra!« Hände packten sie an den Schultern. Man führte sie zu einem Hocker und drückte ihr den Kopf zwischen die Knie. »Wie dumm von mir! Ich laß dich hier stehen, obwohl du bestimmt seit heute morgen nichts mehr gegessen hast! Bleib sitzen, bis die Schwäche vorbei ist. Ich schicke jemanden, damit du etwas zu essen bekommst.« Andromache ging zur Tür und rief nach einer Dienerin. Dann goß sie Kassandra einen Becher von dem Wein ein, der auf einem Tisch am anderen Ende des Gemachs stand.
»Trink!« befahl sie. »Und hier sind ein paar getrocknete Früchte.« Sie hielt Kassandra einen Teller hin. Kassandra nahm ein paar Rosinen, schob eine in den Mund und zwang sich zu kauen. »Wenigstens einmal haben die Kinder nicht alles aufgegessen, was sie gesehen haben.«
»Sehen…«, Kassandra seufzte, »ich wünschte, ich müßte nichts mehr sehen. «
»Ich lasse Brot und Fleisch aus der Küche bringen. Das wird dir helfen. Meine Mutter hat nach langen Ritualen und Weissagungen immer soviel gebratenes Fleisch und Brot gegessen, wie sie konnte. Priesterinnen würden mit Sicherheit vor Ritualen nicht fasten, wenn es die Hellsichtigkeit nicht fördern wurde.«
»Bestimmt nicht«, stimmte Kassandra ihr zu, »und eine Geburt ist auch ein Ritual.«
»Wie wahr«, sagte Andromache nachdenklich, »war es schwer für Helena?«
Kassandra schüttelte den Kopf.
»Bei ihr ist das eben so. « Andromache verzog das Gesicht. »Nun ja, ich nehme an, wenn Aphrodite will, daß Helena sich Liebhaber nimmt, dann wird sie doch zumindest auch dafür sorgen,
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