Die Feuer von Troia
hinunter, wo Aeneas auf seinem prächtigen Wagen zwischen den Reihen auf und ab fuhr und, wie sie glaubte, dem Feind eine Herausforderung zurief. Sie hatte schon oft erlebt, daß eine Schlacht zweier Heere in Form von Zweikämpfen zwischen den besten Kämpfern verlief. Es war nicht mit den heftigen Kämpfen zu vergleichen, die sie bei den Amazonen erlebt hatte; dort herrschte großes Durcheinander, und man versuchte, auf jede erdenkliche Weise so viele Gegner wie möglich zu töten.
»Seht ihr?« rief Kreusa. »Jemand hat seine Herausforderung angenommen. Wer ist das?«
»Diomedes«, sagte Helena.
»Der, der die Rüstung getauscht hat …«
»Richtig«, bestätigte Andromache. »Aber ich glaube, Aeneas ist der Stärkere - mit diesem Wagen und diesen Pferden ganz bestimmt. Seine Mutter war eine Priesterin der Aphrodite. Manche behaupten sogar, Aphrodite persönlich sei seine Mutter. Sie hat ihm die Pferde geschenkt, als er nach Troia aufbrach … Was geht dort vor?«
Diomedes war wie ein Wahnwitziger auf Aeneas zugefahren, und es war ihm gelungen, mit seinem Speer den Wagen umzuwerfen. Aeneas stürzte zu Boden. Kreusa schrie, aber Aeneas sprang offenbar unverletzt auf und zog das Schwert. Aber Diomedes durchtrennte das Geschirr der Pferde und griff nach den Zügeln. Das ließ erkennen, daß er Pferde und Wagen als Beute beanspruchte. Aeneas erhob zornig Einspruch; er schrie so laut, daß die Frauen seine Stimme hörten, die Worte jedoch nicht verstanden. Aeneas stürmte auf Diomedes los. Dabei schien er vor den Augen der Frauen zu wachsen, und ein Strahlenkranz umgab seinen Kopf. Kassandra durchzuckte der Gedanke: Mir ist noch nie aufgefallen, daß er die gleichen Haare wie Helena hat ! Dann begriff sie, daß sie die schöne Göttin vor sich sah, die sich mit dem Zorn einer Unsterblichen auf Diomedes stürzte. Diomedes wich zurück - darauf war er nicht gefaßt gewesen. Aber sein Mut ließ ihn nicht im Stich. Er griff die mächtige Aphrodite an und traf mit dem Schwert die Hand der Göttin.
Plötzlich stand wieder Aeneas auf dem Kampfplatz. Er schrie wie eine Frau und schüttelte die Hand, aus der Blut hervorschoß. Diomedes war im Vorteil, hob aber schützend Schwert und Schild. Aeneas stürzte sich auf ihn, und im nächsten Augenblick lag Diomedes der Länge nach auf der Erde. Sofort war Agamemnon mit vier seiner Leute zur Stelle, und sie zwangen Aeneas mit mächtigen Weben zurückzuweichen. Hektors Wagen schoß heran, und Hektor sprang herab. Es kam zu einem kurzen, wilden Gefecht mit Agamemnon; dann hob Hektor Aeneas auf seinen Wagen, und sie galoppierten zum Stadttor zurück, während einige von Hektors Männern Agamemnon mit seinen Männern vertrieben; es gelang ihnen, den Streitwagen und die Pferde zurückzuerobern.
»Er ist verwundet«, rief Kreusa und rannte die Stufen hinunter. Die anderen Frauen folgten ihr eilig und kamen unten an, als Hektors Streitwagen vorfuhr. Hektor sprang herab und winkte sie zur Seite.
»Zurück! Wir müssen das Tor schließen. Oder soll Agamemnon mit dem halben Heer hereinstürmen?« rief er. Die Frauen wichen zurück, während die Männer mit anpackten. Die Tore schlossen sich schnell. Einen unglücklichen Achaier, der plötzlich in der Falle saß, machten sie erbarmungslos nieder.
»Werft ihn über die Mauer zu seinen Freunden«, befahl Hektor. »Sie wollen ihn haben, wir nicht.«
Kreusa hielt Aeneas in den Armen und rief nach Heilern, um ihm die verletzte Hand zu verbinden. Er schien benommen zu sein. Aber als Kassandra zu den beiden trat und sich der Wunde annahm, lächelte er sie an und fragte: »Was ist geschehen?«
»Wenn du es nicht weißt«, sagte Hektor, »wie sollen wir es dir sagen? Du hast mit Diomedes gekämpft und plötzlich…«
»Das warst nicht du, sondern Aphrodite«, sagte Helena. »Sie hat durch dich gekämpft.«
Aeneas lachte. »Ich weiß nur, daß ich in Zorn geriet, weil Diomedes den Wagen und die Pferde als Beute beanspruchen wollte. Dann weiß ich nur noch, daß meine Hand blutete, und daß jemand geschrien hat …«
»Du hast geschrien«, sagte Hektor, »oder es war die Göttin.« Aeneas lachte. »Die Schöne«, meinte er, »kehrt schreiend in den Olymp zurück und - ich wage zu behaupten -, flüchtet sich auf den Schoß von Zeus und berichtet ihm von den bösen, kämpfenden Männern. Ich hoffe, der Donnerer befiehlt ihr in klaren Worten, sich von nun an vom Kampfplatz fernzuhalten. Es ist nicht der richtige Ort für Damen - selbst für
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