Die Feuer von Troia
Aphrodite die Göttin der Schönheit. Ich weiß seit langem, daß ich mich mit ihr auf diesem Gebiet nicht messen kann. Und warum liegt dir überhaupt soviel an der Meinung eines Sterblichen?«
»Dann mußt du mir helfen, Poseidon!« Die stolze Königin wandte sich an den behaarten, stämmigen und bärtigen, wie ein Schwimmer mit Muskeln bepackten Meeresgott. »Hilf du mir, die Mauern von Troia zum Einsturz zu bringen. Zeus hat es beschlossen, und wenn es geschieht, wird er nicht zürnen.«
»Ich helfe dir nicht«, erklärte Poseidon, »die Zeit dafür ist noch nicht gekommen. Ich verbünde mich nicht mit einer Frau gegen ihren Gemahl.«
Ein Blitz zuckte, als Hera mit dem Fuß aufstampfte und rief: »Das wirst du bereuen!« Aber Poseidon hatte sich bereits in einen großen weißen Hengst verwandelt und galoppierte über den Strand. Das Donnern seiner Hufe klang wie die Wellen, die sich an der Mauer brachen, die die Achaier gebaut hatten.
Kassandra erwachte angsterfüllt, und Poseidons Worte klangen ihr noch in den Ohren. Sie überlegte, ob ihr Traum ein neues Erdbeben ankündigte. Aber im Tempel blieb alles ruhig, und schließlich schlief sie wieder ein. Am nächsten Morgen stellte sie fest, daß ein paar Vasen und Teller von Tischen und Borden gefallen waren; eine Lampe war umgestürzt, auf dem Steinboden jedoch ausgebrannt, ohne etwas in Brand zu setzen. Wenn es ein Erdbeben gewesen war, dann ein kleines, kaum mehr als das Schulterzucken des Gottes. Die Unsterblichen schienen sich ergebnislos zu streiten; man konnte es irgendwie mit den Zweikämpfen auf dem Schlachtfeld vergleichen, die ebenfalls nichts entschieden. Nun ja, die Krieger waren nur Menschen, und ihnen konnte man kaum vorwerfen, wenn sie sich töricht verhielten. Aber Kassandra hatte geglaubt, die Götter hätten Besseres zu tun.
Sie beschloß, an diesem Tag nicht auf die Mauer zu steigen. Sie hatte genug von diesen Zweikämpfen und vermutete, es werde nichts Besonderes geschehen, denn Achilleus blieb nach wie vor in seinem Zelt. Mit Verwunderung stellte Kassandra fest, wieviel Zeit sie inzwischen mit den anderen Frauen auf der Mauer verbrachte, das Kampfgeschehen beobachtete und sich unterhielt.
Biene wuchs aus ihren Sachen heraus. Kassandra verbrachte den Vormittag damit, in den Truhen zu kramen und sich bei den Priesterinnen zu erkundigen, ob vielleicht unter den Opfergaben etwas Geeignetes sei, aus dem sie ein paar Kleidchen für ihre Tochter machen könnte. Man gab ihr einen mit Safran gefärbten Stoff (Kassandra fand, die Farbe müsse Biene mit ihren dunklen Locken und lebhaften dunklen Augen gut stehen), aus dem sie ihr ein Kleidchen und ein Kopftuch nähen konnte. Die Kleine brauchte auch Sandalen. Inzwischen lief sie überall herum, und in den Höfen lag noch immer viel Geröll, an dem sie sich die Füße verletzen konnte. Kassandra wollte schon einen Diener zum Markt schicken, um Leder für die Sandalen zu kaufen, beschloß aber dann, selbst mit dem Kind in die Stadt zu gehen.
Biene war groß genug, um zu laufen, und sie begriff schnell, daß sie Sandalen wie ein großes Mädchen bekommen sollte. Kassandra freute sich über die kleine Patschhand, die sich vertrauensvoll in ihre Hand legte. Auf dem Markt begutachtete Kassandra die angebotenen Sandalen; die Preise erschienen ihr nicht unangemessen hoch. Sie ließ Biene ein Paar derbe Sandalen anprobieren, und als sie feststellte, daß sie ordentlich gearbeitet waren und gut an den kleinen Füßen saßen, erlaubte sie dem Kind, das Muster zu wählen, das ihr am besten gefiel.
»Und du, Herrin?« fragte der Sandalenmacher. Aus alter Gewohnheit wollte Kassandra nein sagen. Aber dann folgte sie mit den Augen dem Blick des Mannes auf ihre Füße. Ihre Sandalen waren abgetragen und hatten nur noch hauchdünne Sohlen. Ein Riemen war mehrfach gerissen und immer wieder geflickt worden. Nun ja, sie hatte diese Sandalen auf dem Weg nach Kolchis und zurück getragen.
»Sie haben mich um die halbe Welt begleitet«, sagte sie, »vermutlich verdienen sie, wie eine alte Stute aus dem Dienst entlassen zu werden«, und ließ sich von dem Mann verschiedene Sandalen zeigen, die aber alle zu groß waren. Schließlich nahm der Mann Maß und sagte: »Die Herrin hat wirklich einen kleinen Fuß. Ich muß dir ein Paar anfertigen.«
»Ich habe meinen Fuß nicht gemacht«, erwiderte Kassandra. »Aber wenn du mir ein Paar in diesem Muster nähst …«, sie deutete auf die Sandalen, die ihr beinahe gepaßt
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