Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
Vom Netzwerk:
ein schlechter Mensch überall schlecht, und vielleicht war es bei den Achaiern sehr viel leichter, schlecht zu sein. Während sie ihn betrachtete, drehte er sich auf den Rücken und schlug die Augen auf.
    Kassandra kam es vor, als sehe er sie - wenn er träumte, sah er sie vielleicht tatsächlich.
    Er flüsterte - obwohl sie glaubte, daß er in Wirklichkeit schwieg: »Bist du geschickt, um mich zu versuchen, schönes Mädchen?« Kassandra erwiderte: »Du träumst nur, daß ich hier bin. Ich bin der Geist der Tochter, die du in den Tod geschickt hast. Mögen die Götter dir böse Träume senden.« Sie schwebte ins Freie und hörte ihn hinter sich entsetzt aufschreien, als er plötzlich erwachte. Sie hätte nicht an seiner Stelle sein wollen.
    Sie schwebte weiter und befand sich plötzlich im Zelt des Achilleus. Der achaische Prinz lag wach und mit weit offenen Augen auf dem Rücken. Auf einer Bahre am anderen Ende des Zelts lag die Leiche des Patroklos. Kassandra verstand es nicht; die Leiche hätte doch inzwischen längst verbrannt oder begraben sein sollen - oder wenn das nicht, warum hatte man sie nicht den großen Aasvögeln zum Fraß überlassen, wie es bei manchen Stämmen der großen Steppe Sitte war? Man hatte den Leichnam einbalsamiert, und Achilleus hielt die Totenwache. Seine seltsam blassen Augen waren verquollen, als habe er lange geweint, und er schluchzte hörbar.
    »0 Mutter!« rief er klagend, und Kassandra wußte nicht, ob er eine Göttin oder seine Mutter anrief. »0 Mutter, du hast mir gesagt, Zeus, der Donnergott, habe mir Ruhm und Ehre versprochen, und sieh nur, was geschehen ist: Ich werde von Agamemnon verhöhnt, und nun ist mein einziger Freund von mir gegangen!«
    Sie dachte:  Eigentlich solltest du ein Mensch sein, der mehr als einen Freund im Leben findet.  Achilleus stöhnte auf und rief plötzlich: »Patroklos, wie konntest du mich verlassen? Was soll ich deinem Vater sagen? Er hat dir geraten, zu Hause zu bleiben und dich um dein eigenes Reich zu kümmern. Ich habe ihm geschworen, dir werde nichts geschehen, und ich werde dich überhäuft mit Ruhm und Ehre nach Hause bringen! Ja, nach Hause werde ich dich bringen, aber Ruhm und Ehre gibt es für dich nicht mehr.« Er schluchzte hemmungslos.
    Kassandra bemitleidete Achilleus beinahe in seinem Leid; aber sie hatte zuviel von seiner Blutgier gehört. Er tötete gnadenlos und verursachte anderen Leid, wo er konnte. Nun war es an ihm zu leiden, und er zeigte wenig Tapferkeit. Hätte er sein Zelt verlassen und selbst gekämpft, wäre es nie soweit gekommen. Patroklos war gestorben, weil er an einem Platz stand, an dem Achilleus hätte sein sollen. Plötzlich wußte sie, weshalb sie gekommen war. »Achilleus«, rief sie leise in der Art, die sie im Lager der Achaier gehört hatte.
    Er richtete sich auf, starrte verwirrt um sich, und in seinen Augen stand Entsetzen.
    »Wer ruft mich?«
    »Geister haben keinen Namen«, erwiderte sie mit tiefer Stimme. »Ich gehöre zu den Toten.«
    »Bist du es, Patroklos? Kommst du, um mich zu verfolgen, mein Freund? Warum bleibst du hier? Warum wanderst du nicht in die Nachwelt?«
    »Solange ich nicht begraben bin, ist mir der Weg dorthin versperrt. Mein Geist verfolgt alle, die meinen Tod verschuldet haben.« 
    »Dann geh zu Hektor, dem Trojaner«, rief Achilleus, von Grauen geschüttelt. Die Augen fielen ihm beinahe aus dem Kopf. »Sein Schwert hat dein Leben ausgelöscht, nicht mein Schwert. « 
    »0 weh«, klagte Kassandra, »ich bleibe hier, denn ich wurde in deiner Rüstung getötet und an deiner Stelle.« In einer plötzlichen Eingebung fügte sie hinzu: »Liebst du mich nicht mehr, weil sich die Tore des Todes hinter mir geschlossen haben?«
    Achilleus wimmerte: »Die Toten gehören nicht unter die Lebenden. Mache mir keine Vorwürfe, sonst sterbe ich vor Kummer. « »Ich mache dir keine Vorwürfe«, heulte Kassandra mit übernatürlicher Stimme. »Das überlasse ich deinem Gewissen. Du weißt, ich habe an deiner Stelle den Tod gefunden. «
    »Nein!« schrie Achilleus. »Nein! Ich will das nicht hören! Hilfe, Wachen!«
    Was soll das , dachte Kassandra.  Glaubt er allen Ernstes, seine Wachen könnten einen Geist vertreiben?
    Vier Bewaffnete stürmten in das Zelt.
    »Du hast uns gerufen, mein Prinz?« fragte der erste und vermied es bewußt, auf den Leichnam zu blicken.
    »Durchsucht das Zelt und das ganze Lager«, befahl Achilleus. »Jemand hat sich ungesehen hier eingeschlichen und flüstert mir

Weitere Kostenlose Bücher