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Die Feuer von Troia

Die Feuer von Troia

Titel: Die Feuer von Troia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer-Bradley
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gekommen«, berichtete Phyllida, »wir haben versucht, sie mit Mäusen und neugeborenen Kaninchen zu locken. Als das nichts half, mit einer jungen Taube und sogar mit einer Schale frischer Ziegenmilch.« (Das war in Troia inzwischen eine seltene Köstlichkeit, denn man hatte viele Ziegen aus Mangel an Futter schlachten müssen. Die wenige Milch, die es gab, blieb Säuglingen oder Schwangeren vorbehalten, die in der Anfangszeit nichts anderes bei sich behalten konnten.) »Was bedeutet dieses Omen, Kassandra? Zürnt uns die Mutter? Was können wir tun, um IHREN Zorn abzuwenden?«
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie, »die Göttin hat mich nicht wissen lassen, ob SIE uns zürnt. Vielleicht sollten wir unsere Festgewänder anlegen und für SIE singen.« (Das würde zumindest nicht schaden.) »Danach gehen wir hinunter zum Leichenmahl in den Palast und tanzen zu Ehren Hektors.«
    Diese Aussicht löste bei den Frauen Freude aus. Wie Kassandra vermutet hatte, verdrängte es schnell die Angst. Als die anderen gegangen waren, um ihre Gewänder anzulegen, trat Phyllida zu Kassandra. Inzwischen hatte sie von Kassandra viel von dem Schlangenwissen aus Kolchis gelernt. 
    Sie sagte: »Das ist alles ganz schön und gut. Aber was ist, wenn die große Schlange sich auch heute weigert, Nahrung anzunehmen?«
    »Dann müssen wir das vermutlich als das schlimmste aller Omen hinnehmen«, antwortete Kassandra, »auch die Mutter der Schlangen ist schließlich nur ein Tier. Kein Tier hungert grundlos. Ich habe kleinere Schlangen schon zum Fressen gezwungen, aber ich fühle mich nicht der Aufgabe gewachsen, das mit der großen zu tun. Du?« Phyllida schüttelte stumm den Kopf, und Kassandra nickte. »Also können wir nicht mehr tun, als ihr verlockende Nahrung anzubieten, und beten, daß die Schlange es für richtig hält, sie anzunehmen.«
    »Kurz gesagt, genau dasselbe würden wir auch bei einem Unsterblichen tun«, sagte Phyllida mit einem spöttischen Lächeln, »ich frage mich immer öfter, wozu die Götter gut sind?«
    »Das weiß ich auch nicht, Phyllida. Aber ich bitte dich, sag so etwas nicht den anderen«, mahnte Kassandra, »vermutlich sollten wir uns auch umziehen.«
    Phyllida strich ihr über die Wange und sagte: »Arme Kassandra, dir kann kaum nach Tanzen und Essen zumute sein, nachdem Hektor tot ist.«
    »Hektor geht es besser als den meisten in dieser Stadt, die noch leben«, erwiderte Kassandra, »glaub mir, ich freue mich für ihn. « 
    »Niemand aus meiner Familie ist bei den Kriegern«, sagte Phyllida, »und das letzte Festmahl liegt schon so lange zurück, daß ich mich darüber freuen würde, auch wenn es das Leichenmahl meines Vaters wäre. Also wollen wir für die Schlangenmutter und zu Ehren Hektors tanzen. Und ich hoffe, SIE hat eben soviel davon wie er.« Phyllida eilte davon, und Kassandra ging zu der künstlichen Höhle an der Mauer, die für die große Schlange gebaut worden war.
    Sie zögerte und wartete, ob Apollon sprechen und ihr verbieten werde, in die Höhle einzudringen. Dann nahm sie eine brennende Fackel und kroch hinein. Die alte Schlange kannte ihren Geruch und würde ihr nichts tun, denn man hatte sie Kassandra in Kolchis für den Sonnentempel anvertraut. Aber sie würde sich auch nicht freiwillig einer brennenden Fackel nähern. Im Halbdunkel der Höhle roch Kassandra den uralten Geruch, der allen Menschen panische Angst einjagt. Aber sie hatte gelernt, ihn nicht zu beachten.
    Beim Weiterkriechen mußte sie Kot ausweichen. Schlangen waren im allgemeinen sauberer als Katzen. Die Mutter der Schlangen hätte ihre Höhle normalerweise nie beschmutzt. Kassandra erkannte undeutlich den zusammengerollten, großen, schuppigen Schlangenleib, murmelte beruhigende Worte und kroch näher. Zögernd streckte sie die Hand aus, aber anstelle der warmen Schuppen, die sie erwartet hatte, schien sie glasierten, kalten Ton zu berühren. Sie drückte fester. Nichts regte sich. Die große Schlange war tot!
    Deshalb ist sie also nicht hervorgekommen. Das Omen ist schlechter, als die Priesterinnen ahnen,  dachte Kassandra seufzend. Sie streckte sich einen Augenblick neben der toten Schlange aus und blieb ruhig liegen. Dabei überlegte sie unwillkürlich, ob sie der Mutter der Schlangen begegnen würde, wenn sie sich auf die graue Ebene des Todes hinauswagte, wo Hektor auf seinen Sohn wartete. Würde die Schlange mit einer menschlichen Stimme zu ihrer Priesterin sprechen?
    Ändern würde sich dadurch nichts. Falls

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