Die Feuerbraut
gekümmert hatte, verspürte Irmela noch immer den Schmerz des Abschieds. Außer ihrem Vater hatte es keinen Menschen gegeben, dem sie ähnlich zugetan war wie ihm. Vielleicht, dachte sie, war er für sie der Bruder gewesen, den sie sich immer gewünscht hatte.
Das Anschlagen des Türklopfers riss Irmela aus ihrem Sinnieren. Erwartungsvoll schaute sie auf, obwohl ihre Ohren von dem durchdringenden Lärm halb taub waren. Es kamen nur selten Gäste hierher, daher sehnte sie sich nach einer Abwechslung in dem düsteren Alltagseinerlei. Nun erwartete sie, die Schritte einer Magd zu vernehmen, die zur Tür ging und nachsah, wer da Einlass begehrte. Aber unter ihr blieb es still, und kurz darauf wurde der Türklopfer mit noch größerer Wucht auf die Platte gestoßen.
Da auch jetzt niemand erschien, verließ Irmela seufzend ihre Kammer und eilte die Treppe hinab. Sie wollte schon den Riegel zurückschieben, hielt jedoch in der Bewegung inne. In diesen unsicheren Zeiten wusste man besser vorher, wer Einlass begehrte. Daher öffnete Irmela die handgroße Klappe, die in Augenhöhe eines Mannes in die Tür eingelassen war, und stellte sich auf die Zehenspitzen, um hinausschauen zu können.
Als sie keine beutegierigen Schweden oder rebellischen Bauern erblickte, sondern zwei Männer, deren Tracht sie als gelehrte Herren auswies, atmete sie auf. Das mussten die Ärzte sein, die der Prior Xaver von Lexenthal seiner Nichte versprochenhatte. Sie schickte ein Stoßgebet zur Himmelsjungfrau, den Männern zu helfen, der Verunstalteten wenigstens einen Teil ihrer einstigen Schönheit wiederzugeben. Sie war der Klagen und des ständigen Jammerns der jungen Frau überdrüssig und wusste, dass es allen anderen mit Ausnahme von Johanna und Helene ebenso erging. Für ihre feinen Sinne wurde jeder von Ehrentrauds Verzweiflungsausbrüchen und Tobsuchtsanfällen zur Qual, denn das Geschrei hallte aus jedem Winkel des Hauses zurück und war sogar noch in den Ställen zu vernehmen, in die sie sich in ihrer Not ein paarmal verkrochen hatte. Manchmal bedauerte sie sogar, nicht über das robuste Gemüt und die abgehärteten Sinne zu verfügen, die Helene ihrer Tochter vererbt hatte.
Wieder in ihre Gedanken verstrickt, vergaß Irmela zu öffnen und wurde durch ein ärgerlich klingendes Anschlagen des Türklopfers aufgeschreckt. »Ich bin ja schon da!«, rief sie und schob den Riegel zurück.
Die Tür schwang unter dem eigenen Gewicht auf, und sie sah die beiden Männer sich bei ihrem Anblick aufplustern. Hatte sie zuerst angenommen, die Gelehrten gehörten zusammen, bemerkte sie nun die hasserfüllten Blicke, mit denen sie einander maßen. Jeder versuchte, den anderen beiseite zu schieben, um als Erster eintreten zu können. Dabei bedachten sie einander mit Verwünschungen, die so gar nicht in den Mund gelehrter Herren passten. Anscheinend hatten die Besucher einige Jahre an Kriegszügen teilgenommen und sich neben anderen Unarten auch die gotteslästerlichen Flüche der Söldner angewöhnt.
Irmela hielt die Tür offen und fragte sich, wann die beiden endlich entscheiden würden, wer den Vortritt haben sollte. Dabei fand sie genug Zeit, die Herren zu mustern. Der eine Gelehrte war mittelgroß, untersetzt und hatte ein rundliches, gutmütig wirkendes Gesicht, das aber nun vor Zorn gerötet war. Der anderewar ein baumlanger, hagerer Mensch mit scharf geschnittenen Zügen, der seinen Kollegen von oben herab musterte, als habe er es mit einem schleimigen Wurm zu tun.
»Gib endlich den Weg frei, du Kurpfuscher!«, schrie der Lange.
»Niemals!« Der Untersetzte stemmte sich mit seinem ganzen Gewicht gegen seinen Kollegen und bog ihn schließlich wie eine dünne Rute zur Seite, so dass er an ihm vorbei durch die Tür schlüpfen konnte. Mit triumphierender Miene wandte er sich an Irmela. Da er im Halbdunkel des Flures ihre Kleidung nicht erkennen konnte, hielt er sie für eine Magd.
»Melde mich deiner Herrin! Ich bin Wendelin Portius von Hohenkammer, Doktor der Medizin, Astronom und Alchemist. Der preiswürdige Prior Xaver von Lexenthal schickt mich, seiner Nichte beizustehen.«
Der Hagere unterbrach ihn mit einem zornigen Schnauben. »Pah! Du hast dich mit Lügen über dein angebliches Können in das Vertrauen des Priors eingeschlichen! Mit deiner Kunst kannst du niemand helfen, am allerwenigsten einem jungen Weib, das ein so schweres Schicksal erlitten hat wie die Nichte meines Auftraggebers.« Erst nach diesem Ausfall gegen seinen Konkurrenten
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