Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
selbst trägst keine Schuld.«
Adhara rührte sich nicht. »Wer bin ich?«, fragte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.
»Ich weiß es nicht, Adhara, ich weiß es wirklich nicht …«
»Genug! Warum habt Ihr mich dann kommen lassen? Ihr haltet mich zum Narren!«, stieß Adhara hervor und sprang auf. »Erst versprecht Ihr mir die Wahrheit, dann sagt Ihr, dass Ihr sie gar nicht kennt, und …«
»Ich will dir alles erzählen, was ich über die Erweckten weiß«, unterbrach Theana sie, ohne die Fassung zu verlieren. »Nimm wieder Platz und gedulde dich ein wenig.«
Adhara blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen.
Die Erweckten. Eine Gruppe von Idealisten, wie sie sich selbst bezeichneten.
»Wahnsinnige«, urteilte Theana. »Wahnsinnige, die sich zu Beginn vielleicht von gerechten Grundsätzen leiten ließen, bald aber schon vom Pfad der Vernunft abkamen.«
Rund zwanzig Jahre war es her, dass sich die Bruderschaft der Erweckten gebildet hatte. Damals waren beim Studium antiker Schriften, die während der Erbauung von Neu-Enawar gefunden wurden, uralte Geschichten ans Tageslicht gekommen. Es handelte sich um elfische Schriften aus der Bibliothek des Tyrannen, Bücher, die man der Ordensgemeinschaft des Blitzes anvertraut hatte, um sie mit größter Sorgfalt zu übersetzen und zu deuten.
Es war ein Jüngling, ein bereits sehr belesener und in den priesterlichen Heilkünsten kundiger Mann, von dem alles ausging. Eines Nachts, als er wieder einmal statt zu schlafen über den Büchern saß, geschah es. Die Schrift war kaum zu entziffern, doch die Bedeutung war ihm bald schon allzu klar:
Ein immerwährender Kampf, der sich von Jahrhundert zu Jahrhundert fortsetzt und erneuert, bestimmt das Geschick der Aufgetauchten Welt. Er begann mit dem Ursprung der Zeiten und fesselt seitdem mit den Windungen seiner Zyklen diese Welt, prägt ihre Geschichte und zeichnet ihr Schicksal vor.
Der Erste war ein Elf, dessen eigentlicher Name vergessen ist, getilgt, ausgelöscht. Dieser erfand die Schwarze Magie und gewährte damit dem Bösen Einzug in diese Welt. Den Kräften des Lebens und dem göttlichen Bekenntnis zum Guten setzte er seine Zerstörungswut entgegen. Denn konnten die Götter erschaffen, die Elfen jedoch nicht, so verlangte er zumindest die Macht, selbst zu zerstören. Marvash, der Zerstörer , wurde er später genannt, und er war der Erste. Angesichts seiner ungeheuren Kräfte, den Kräften des Bösen, die die Welt auszulöschen drohten, sandten die Götter, im Besonderen Shevrar, Sheireen, die Geweihte , zur Erde nieder, damit sie Marvashs Hass bekämpfe und sein Werk vernichte und ihn in die Finsternis zurücktreibe, aus der er aufgestiegen war.
Im Kampf konnte sie Marvash niederringen und töten. Doch damit war seine Macht nicht gebrochen. Denn nicht ohne Nachkommen schied er dahin, sondern schleuderte seinen Samen in die Welt, einen Samen des Todes, dessen Früchte Kummer und Leid bringen sollten.
Die Jahre gingen ins Land, der Frieden festigte sich, doch das Böse war nicht besiegt. Erneut stieg aus dem Höllenschlund ein Wesen auf, das auf Tod und Verderben aus war und für sich beanspruchte, der neue Marvash zu sein. Und wiederum sandten die Götter Sheireen in die Aufgetauchte Welt, und wieder entbrannte ein Kampf, der die Welt in den Grundfesten erschütterte. Marvash trug den Sieg davon, und lange Jahrhunderte der Finsternis folgten.
Seitdem treten immer wieder zu bestimmten Zeiten große Zerstörer in die Welt. Geschöpfe, die sich dem Bösen verschrieben haben und mit außerordentlichen Kräften gerüstet sind, schändliche Geschöpfe, die sich am Tod erfreuen und nur im Blutrausch Befriedigung finden. Um sie vom Thron zu stürzen, bedarf es einer Geweihten, einer Sheireen, die nicht weniger mächtig ist, aber dem Guten ergeben und durchdrungen von einer segensreichen, reinigenden Kraft. Bis zum Ende aller Zeiten wiederholt sich dieser ewige Kampf, und der Ausgang ist stets ungewiss. Mal hat in den verschiedenen Zeitaltern die Finsternis obsiegt, mal das Licht. Gewiss ist nur der Kampf selbst, die unablässige Erneuerung des Kreislaufs von Gut und Böse, von Phönix und Schlange, die einander in den Schwanz beißen, in einem endlosen Zyklus, den nur eine Neuordnung der Welten wird durchbrechen können.
»Der junge Bruder war derart erschüttert von dem, was er da gelesen hatte, dass er zu mir kam und mir sogleich alles erzählte«, fuhr Theana fort.
Die Geschichte der Aufgetauchten Welt
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