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Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter

Titel: Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Licia Troisi
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es genossen, Leid zuzufügen. Und erneut, wie bereits damals beim allerersten Mal, vermochte er es kaum, der Gier nach Blut und Tod zu widerstehen.
     
    Er ist sechs Jahre alt. Jetzt haben sie es ihm ins Gesicht gesagt. Jetzt weiß er Bescheid. Von wegen, sein Vater ist ehrenhaft in einer Schlacht gefallen. Seine Mutter hat ihn immer angelogen. Er ist ein Bastard. Ein Kind ohne Vater und mit einer Mutter, die eine Hure ist. Das sagt jedenfalls der Junge, der jetzt vor ihm steht.
    »Deine Mutter ist eine Hure!« Und die anderen um ihn herum lachen.
    Er spürt, wie der Boden unter seinen Füßen schwankt und die Welt vor seinen Augen verschwimmt. Tränen verschleiern seinen Blick, und das Gelächter der Kameraden treibt ihm das Blut in den Kopf.
    Und mit einem Schrei stürmt er los. Stürzt sich auf diesen Jungen, obwohl der viel größer ist als er selbst, und lässt es geschehen, dass der Zorn, der ihm durch die Adern rast, hervorbricht und sich Genugtuung verschafft. Er beißt und tritt, brüllt und kratzt. Wie ein wildes Tier fühlt er sich, und so wütet er auch. Und mochte es anfangs noch so scheinen, als kämpfe hier ein Zwerg gegen einen Riesen an, wächst ihm langsam, von irgendwoher, mehr und mehr Kraft zu. Schon bemühen sich die anderen, ihn von seinem Opfer fortzureißen, aber vergebens. Er wird siegen, immer lauter hört er den Feind unter seinen Schlägen aufstöhnen. Und da geschieht es zum ersten Mal, nimmt er sie zum ersten Mal in seinem Leben wahr, eine dumpfe, ihn ganz erfüllende Befriedigung. Er berauscht sich am Geruch, am Geschmack von Blut, tut Böses, fügt jemandem Leid
zu. Und es erregt ihn. Das hat nichts mit den Dingen zu tun, die er gerade hat erfahren müssen, mit dem Zorn wegen der Verhöhnung, deren Zielscheibe er wurde. Es ist nichts anderes als Mordlust, das Verlangen zu töten. Und in diesem Verlangen verliert er sich, stürzt er hinab wie in einen lockenden Abgrund.
    Er kommt erst wieder zu sich, als ein Erwachsener ihn packt und von seinem Gegner trennt. »Hast du den Verstand verloren?«
    Die Wirklichkeit hat ihn wieder, und alles läuft wieder mit der gewohnten Geschwindigkeit ab. Der andere Junge liegt am Boden und rührt sich nicht. Sein Gesicht ist geschwollen, er hat die Arme von sich gestreckt, die bleich aussehen unter all dem Blut. Nur sein Brustkorb bewegt sich keuchend, hebt und senkt sich in schnellem Rhythmus.
    Und jetzt endlich packt ihn die Reue, das Entsetzen. Der andere Junge weint, während ihn der Erwachsene zu trösten versucht, mit Worten, die er selbst nicht versteht. Jetzt hat ihn die Angst im Griff, Angst vor dem, was er getan, und mehr noch vor dem, was er dabei empfunden hat.
    Abends ist er allein zu Hause, und als er es nicht mehr aushält, rennt er halbnackt in den Wald, in die Kälte. Denn so lässt sich die Verzweiflung besser ertragen, so lassen die Gewissensbisse ein wenig von ihm ab.
     
    Das Mädchen wachte erst auf, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Alles war so hell, dass sie einen Moment lang glaubte, sie läge erneut auf dieser Wiese, wo sie ans Licht gekommen war, und all das, was seither geschehen war, sei nichts weiter als ein Traum. Dann fiel ihr der Soldat wieder ein, der sie in der Nacht gerettet hatte, und nach und nach rückte alles an seinen Platz. Nun zeichneten sich langsam die Umrisse eines kleinen Zimmers mit gemauerten Wänden ab, und einer Decke, die von mächtigen Balken getragen wurde. In einer Ecke stand ein Tisch, und an einem Bein lehnte eine Tasche. Auf der gegenüberliegenden Seite öffnete sich ein schönes spitzbogiges Fenster, durch das gleißend das Sonnenlicht hereinbrach. Das Mädchen richtete sich ein wenig
auf und legte den Arm an die Stirn. Jenseits des Fensters erblickte sie nun einen Ausschnitt der Ebene, die sich endlos weit bis zum Wald erstreckte.
    Sie lag in einem weichen, bequemen Bett unter frisch duftenden Leintüchern, mit einem flauschigen Kissen im Nacken und sauberen Verbänden an Handgelenken und Knöcheln. Immer noch allerdings trug sie ihre zerfetzten Kleider.
    Gemächlich schwang sie sich aus dem Bett. Sie war allein. Wo mochte der Soldat sein? Eine spürbare Enttäuschung trübte plötzlich das vollkommene Bild. Vielleicht hatte er sie allein zurückgelassen. Aber hätte sie sich beschweren können? Schließlich hatte er ihr das Leben gerettet und sie hierher in Sicherheit gebracht. Was wollte sie mehr? Er war schon fürsorglich genug gewesen, und sie konnte sich ja schlecht wie eine

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