Die Feuerkämpferin 01 - Im Bann der Wächter
Aufgetauchten Welt hatten ihn so beansprucht, dass er irgendwann sein Vorhaben, San zu finden, aufgab. Aber die Schuldgefühle deswegen hatten ihn sein ganzes Leben lang nicht mehr verlassen.
Und nun sprach doch tatsächlich jemand am Eingang seines Palastes vor und behauptete ungeniert, San zu sein, nach so vielen Jahrzehnten von wer weiß wo zurückgekehrt.
Unter den verwunderten Blicken der Dienerschaft und der Höflinge hastete der König durch die Gänge. Aber er konnte es nicht erwarten. Er musste zu ihm, ihn umarmen oder ihn bestrafen, falls es sich um einen Schwindler handeln sollte.
Aber wie soll ich das herausfinden? Fünfzig Jahre sind seither vergangen. Fünfzig Jahre!
Mit beiden Armen riss er die Türflügel zu dem großen Empfangssaal auf, der mit Wandteppichen mit Motiven aus dem Leben der großen Helden der Aufgetauchten Welt geschmückt war.
Da stand er, in der Mitte des Raumes, groß gewachsen und ganz in Schwarz gekleidet, Umhang und Stiefel staubbedeckt wie nach einer langen Wanderung. An der Seite das unverkennbare Profil eines Schwertes: eines Schwertes aus Schwarzem Kristall mit einer einzigen hellen Stelle, dem Drachenkopf auf dem Heft, der darunter in einen sich windenden Drachenleib überging, und der Glocke als Drachenflügel geschmiedet. Learco stockte der Atem. Das war Nihals Schwert.
Der Mann drehte sich um. Leicht spitz zulaufende Ohrmuscheln, ergrautes Haar, das jedoch immer noch unverkennbar bläulich schimmerte. Und dann die Augen: Halbelfenaugen, violett, die Augen seiner Großmutter Nihal und deren Sohn, Sans Vaters.
»So bist du es tatsächlich …«, murmelte der König.
San lächelte. »Wie ich sehe, warst du nicht untätig, während ich fort war.«
Da trat Learco zu ihm und nahm ihn in die Arme, drückte ihn fest an sich und erstickte ein Schluchzen an seiner Brust. »Du bist es tatsächlich …«
Sie unterhielten sich allein, versuchten, die Gesprächsfäden neu zu knüpfen, die viele Jahre zuvor abgerissen waren.
»Lange Zeit habe ich nach dir gesucht. Idos Worte quälten mich, und ich wusste, dass es meine Pflicht war, dich zu mir zu holen. Doch der Krieg, die Hochzeit, und dann unsere verrückte Welt, der es so schwerfällt, Frieden zu halten und sich eine dauerhafte Ordnung zu geben …«
»Ich mache dir ja gar keine Vorwürfe«, unterbrach ihn San, wobei er eine Hand hob, »du hast getan, was in deiner Macht stand. Dass du mich nicht gefunden hast, lag auch daran, dass ich mich nicht finden lassen wollte.«
Learco konnte den Blick nicht von ihm abwenden. Dank des Halbelfenblutes, das in seinen Adern floss, wirkte San noch unglaublich jung. Nur wenige Falten zeichneten sich links und rechts des Mundes und auch um die Augen herum ab. Sein Körper war hager, muskulös, fast breitschultrig: der Körper eines Kriegers. Seine Gesichtszüge verrieten den Jungen, der er einmal gewesen war, besaßen sie doch etwas Sanftes, Kindliches, das unter der Schale des reifen Mannes durchschimmerte, so als stecke in ihm auch etwas, das niemals richtig erwachsen geworden war. Eine schöne Erscheinung, dachte Learco unwillkürlich, mit einem Anflug von Stolz, so als sei dieser Mann sein eigener Sohn.
»Aber wo hattest du dich denn verkrochen? Ich habe dich wirklich überall von meinen Leuten suchen lassen, während Dubhe und ich damit beschäftigt waren, die Scherben der Aufgetauchten Welt wieder zusammenzufügen.«
San zuckte mit den Achseln. »Ich wollte für mich allein sein. Idos Tod ging mir sehr nahe, und ich hatte viel nachzudenken, auch darüber, welche Schuld an seinem Ende mich traf.«
Ido.
»Das war nicht deine Schuld«, erklärte Learco im Brustton der Überzeugung. »Du warst eben noch ein unreifer Junge, und dementsprechend hast du dich verhalten.«
Ein Zornesfunke flammte in Sans Augen auf.
»Nein, niemals hätte ich mich zu dem Tempel aufmachen dürfen, um der Sekte allein entgegenzutreten. Gewiss, ich war nicht wehrlos, doch hätte mir klar sein müssen, dass meine magischen Kräfte niemals ausreichen würden, um Hunderte von Feinden zu vernichten.«
Learco legte ihm eine Hand auf den Arm. »Es war nicht deine Schuld«, wiederholte er.
Sinnend betrachtete San seine Hände, die in schweren schwarzen Lederhandschuhen steckten. »Wie dem auch sei«, begann er dann und sah plötzlich auf, »ich bin lange umhergereist, zunächst durch die Aufgetauchte Welt, und dann außerhalb davon, jenseits des großen Stromes, lebte eine Weile dort im Haus meines
Weitere Kostenlose Bücher