Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
ihn hoch, während Amina bei den Füßen half. Es dauerte eine Weile, bis die Strömung den Leichnam erfasst hatte, dann aber zog sie ihn mit sich, bis er langsam zu einem dunklen Fleck wurde, der dem Saar entgegentrieb, und dann weiter zum Ozean. Gern hätte Adhara noch ein Gebet gesprochen, aber sie hatte keinen Gott, an den sie sich wenden konnte. Nach allem, was sie erlebt hatte, kamen ihr Thenaar oder andere Gottheiten nur noch wie Götzen vor, die die Leute sich ausdachten, um ihr wahnsinniges Treiben auf Erden zu rechtfertigen.
Da passierte es: Ein jäher Schmerz überfiel sie, so heftig, dass es ihr die Brust zerriss. Im seichten Wasser am Ufer sank sie auf die Knie, während sich, von den Händen ausgehend, ein entsetzliches Gefühl in alle Muskeln ausbreitete. Ihr Körper gehorchte, gehörte ihr nicht mehr. So kniete sie einige Augenblicke, ohne zu atmen, da, überzeugt, dass dies ihr Tod sei, ein unerklärlicher, schmerzhafter Tod.
Doch so blitzartig, wie er sie überkommen hatte, verschwand der Anfall auch wieder.
»Alles in Ordnung?«, fragte sie eine Stimme.
Es dauerte einen Moment, bis sie Amina scharf vor sich sah, die über sie gebeugt dastand. Sie richtete sich ein wenig auf, um sich auf die Fersen zu setzen, und scherte sich nicht darum, dass ihr Hosenboden nass wurde.
»Mir war nur schwindlig. Vielleicht bin ich immer noch etwas geschwächt von der Zeit im Kerker.«
»Meinst du wirklich? Ich hab doch gesehen, wie du zusammengeklappt bist, und…«
»Glaub mir, ich bin in Ordnung … Vielleicht war es auch der Ekel vor der Leiche…«
Als sie aufstand, fiel ihr Blick auf ihre linke Hand. Der Fleck auf dem Finger schien größer geworden zu sein.
»Hast du dich da gestoßen?«, fragte Amina.
»Keine Ahnung …«, antwortete sie nur, obwohl sie mit einem Mal eine dunkle Vorahnung hatte.
Ein lautes Ziepen aus dem dichten Wald ließ sie aufschrecken. Wahrscheinlich ein Vogel, aber vielleicht machte auch jemand einen Vogelruf nach.
Adhara war unruhig. »Komm, wir müssen weiter«, forderte sie die andere auf. Und so machten sie sich wieder auf den Weg.
6
Kriegsgräuel
L ange und kräftig rieb die Feuerkämpferin darüber. Nahm Spucke zu Hilfe, tauchte ihn ins Wasser. Aber es nützte nichts. Es war kein Fleck, der sich hätte wegwaschen lassen, damit musste sie sich abfinden. Ihr Finger war rot, ein dunkles, abschreckend aussehendes Rot, so als habe ihn jemand abgebunden, so dass das Blut in ihm stockte. Wenn sie ihn berührte, kribbelte er leicht. Aber immerhin ließ er sich normal bewegen.
Gleich neben ihr warf sich Amina unruhig im Schlaf hin und her. Der Morgen graute bereits, es war Zeit zum Aufbruch. Adhara horchte in ihren Körper hinein. Wie fühlte sie sich? Sie hätte es nicht sagen können. Aber irgendetwas geschah mit ihr, etwas Beängstigendes, das sie sich nicht erklären konnte.
Vielleicht bin ich doch nicht so immun gegen die Seuche, wie ich geglaubt habe , überlegte sie. Aber aus irgendeinem Grund spürte sie, dass es sich nicht um die Krankheit handelte, von der so viele befallen wurden. Ihre Symptome rührten von etwas anderem, etwas Tieferem her. Seit ihr im Fluss die Luft weggeblieben war, machte sie sich große Sorgen,
was dazu führte, dass sie sich die ganze Zeit über geschwächt fühlte. Nahm ihre Lunge eigentlich noch genügend Luft auf? Und ihr Herz? Schlug es nicht viel zu laut? Und währenddessen schien sich die dunkelrote Stelle an ihrem Finger immer weiter auszubreiten.
Sie stand auf und rüttelte Amina sanft wach. »Es ist Zeit«, flüsterte sie. Sie sah, wie sich das Mädchen reckte und streckte und dabei ein wenig maulte. Jetzt wirkte Amina so liebreizend wie sonst den ganzen Tag über nicht. Denn dieser kalte, finstere Ausdruck in ihrer Miene war verschwunden, und sie war wieder ganz das, was sie eigentlich auch war: ein kleines Mädchen.
»Los, auf, ich hab ein paar Äpfel zum Frühstück besorgt.« Amina nickte und rappelte sich verschlafen auf. Wäre sie doch immer so gewesen. Hätte man doch einfach alles ungeschehen und sie wieder zu jenem jungen Mädchen machen können, das sie so liebgewonnen hatte … Stattdessen verschloss sie sich und machte es Adhara unmöglich, Zugang zu ihr zu finden.
Schweigend, im leichten Nieselregen, frühstückten sie. Mittlerweile stand der Winter vor der Tür, und morgens war das Gras mit einem Hauch von Raureif bezogen. Seit zwei Tagen marschierten sie nun schon durch offenes Gelände. Sie mussten schleunigst
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