Die Feuerkämpferin 02 - Tochter des Blutes
der weiträumige Schankraum mit einer langen Theke, der, nachdem man Tische und Bänke entfernt hatte, als Lagerraum genutzt wurde, und die Kammern im Obergeschoss waren zu Unterkünften für Soldaten eingerichtet worden, die zur Front unterwegs waren. Um das Gebäude herum hauste eine kunterbunte Menschenmenge – Obdachlose, Kranke, Flüchtlinge, dem Tod Entronnene -, in der die beiden Mädchen wahrscheinlich nicht aufgefallen wären. Dennoch hielten sie es für ratsam, etwas von dem Tarntrank einzunehmen. Jede trank ein Schlückchen, und wenig später setzte die Wirkung ein. Als sie ihre Gesichter betasteten, spürten sie, wie sehr sie sich verändert hatten.
Amina fuhr über die nun plumpen Züge eines Bauernmädchens, und bei Adhara sah es ganz ähnlich aus.
»Am besten reden wir überhaupt nichts. Wenn es aber nötig ist, geben wir uns als Schwestern aus«, schlug Adhara vor.
Sich unter die Leute zu mischen, war nicht schwierig. Sie mussten lediglich die Kontrolle einer unfreundlichen zahnlosen Heilpriesterin passieren, die dazu abgestellt war, keine Erkrankten ins Lager zu lassen. Lange betrachtete sie Adharas Finger. Zwei waren bereits tiefrot, und bei einem davon begann ein Fingerglied schwarz zu werden. »Was ist das?«, fragte sie misstrauisch.
»Die habe ich mir gequetscht, als ich ein paar Steine aufhob«, antwortete Adhara.
Die Priesterin warf noch einmal einen zweifelnden Blick auf die Hände und das Gesicht des Mädchens, dann gab sie schließlich den Weg frei.
In einem vor dem Gasthaus aufgeschlagenen Zelt fanden sie Verpflegung: Kohlsuppe und ein wenig trockenes Brot, und dazu wurden Kriegsgeschichten serviert.
Fast alle in dieser ärmlichen Kantine waren Flüchtlinge, und fast allen stand das Grauen noch ins Gesicht geschrieben. Hauptsächlich kursierten Berichte über diese sagenhaften Elfen, ihre Grausamkeit und ihre besonderen Kräfte.
»Am Saar haben sie ein ganzes Dorf ausgerottet. Die Bewohner mussten sich in einer Reihe aufstellen, die meisten Frauen und Kinder, und dann haben sie die Leute einen nach dem anderen über die Klinge springen lassen, um schließlich, was übrig war, in Brand zu stecken.«
»In ihren Heeren kämpfen auch Frauen, die über außerordentliche Kräfte verfügen. Die kennen keine Gnade.«
»Und dann erst diese gruseligen Tiere, die sie reiten, mit ihrem fürchterlichen Geschrei. Ähnlich wie Drachen sehen die aus, schwarz, aber ohne Vorderbeine. Im Grunde sind es fliegende Schlangen.«
Mit niedergeschlagenen Augen löffelte Adhara gedankenversunken ihre Suppe, während Amina interessiert den Gesprächen folgte. »Ich hab auch mal so ein Tier gesehen«, warf sie irgendwann ein.« Adhara erstarrte, mit dem Löffel auf halber Höhe, und bedeutete ihr, den Mund zu halten. »Aber das war nicht hier in der Gegend, sondern weit entfernt, im Großen Land«, fuhr das Mädchen ungerührt fort.
»Direkt hier über uns ist auch schon mal ein Schlangendrache vorübergezogen«, fügte ein anderer hinzu. Adhara spürte, wie ihr Herz fast stehenblieb. »Das wird so vor zehn Tagen gewesen sein. Ich hab die Bestie brüllen hören und gesehen, wie sie in Richtung Front weitergeflogen ist.«
Das hieß, sie waren auf dem richtigen Weg.
»Aber das Problem sind ja nicht nur die Elfen. Manchmal drehen auch unsere eigenen Leute durch«, ergriff eine Frau das Wort. Amina und Adhara wechselten einen Blick.
»Was wollt Ihr damit sagen?«, fragte Adhara, wobei sie allen Mut zusammennahm.
»Damit will ich sagen, dass wir hier einen Kerl erlebt haben, der zwar die Uniform des Vereinten Heeres trägt, aber grauenhafte Dinge angestellt hat. Stimmt’s, Jiro?«
Stille machte sich in dem Zelt breit, und alle wandten sich zu einem jungen Burschen mit verschreckter Miene. Er trug eine Binde vor einem Auge und einen breiten Verband um die rechte Schulter. Doch mehr als diese Verwundungen war es sein Blick, der Eindruck machte: Er hatte das Grauen erlebt und duckte sich auf seinem Platz, so als wolle er ganz verschwinden.
Sein Freund neben ihm stieß ihn mit dem Ellbogen an. »Komm, Jiro, lass dich nicht so lange bitten. Die beiden Mädchen sind fremd hier und kennen die Geschichte noch nicht.«
Verwirrt blickte Jiro sich um und begann dann langsam zu erzählen: »Ich war … unterwegs. Mit ein paar Freunden.« Er schluckte. »Wir sind so durch die Gegend gestreift«, setzte er dann hinzu.
Ein Bandit , dachte Adhara. Einer von der Sorte, mit der es Amina und sie gerade erst zu tun
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