Die Feuerkämpferin 03 - Im Land der Elfen
stellte seinen Becher ab und blickte San lächelnd in die Augen. »Woher kommt dein mangelndes Vertrauen?«
»Aus der Erfahrung. Ich habe lange gelebt und viel erlebt.«
Der Elf griff zu dem Umhang, der an einem Nagel an der Wand hing, und warf ihn sich mit einer eleganten Bewegung über. »Folge mir«, forderte er ihn auf.
Die Stadt feierte noch. Dieser Turm war so ausgedehnt, dass sich das Gegröle der Betrunkenen, das Lachen und Singen in den Gängen verloren.
»Was willst du mit all diesem leeren Raum?«, fragte San.
»Wir haben Jahrhunderte Zeit, um sie mit künftigen Generationen zu besiedeln«, antwortete Kryss.
Sie waren auf der untersten Ebene der Turmstadt angekommen, wo das Stadttor lag. Entschlossen trat der König auf das Fundament der Treppe zu. Dort war eine Tür in der Mauer. Die öffnete er und tauchte in die Dunkelheit ein, San folgte ihm. Nach einem kurzen Abschnitt durch die Finsternis konnte er langsam etwas erkennen: Sie befanden sich im Kerker. Längs der Wand reihten sich enge Verschläge aneinander, mit Gittertüren, winzigen Luftschächten, steinernen Liegen sowie Gefäßen für die Notdurft der Gefangenen. Sie durchliefen den Gang und gelangten in einen größeren Raum. An einer Seite stand ein Holztisch, auf der gegenüberliegenden Seite lagen Werkzeuge und Gerätschaften, die nur einem Zweck dienen konnten: In die Mauer waren Ketten eingelassen, und daneben hingen Messer, Beile und ähnliche Instrumente in verschiedensten Größen und Formen. Am Boden lagen Brenneisen, und an der Wand standen ein Stuhl mit Handfesseln und eine Holzbank mit Laufrollen. All diese Werkzeuge schienen schon lange nicht mehr benutzt worden zu sein, denn die Eisenteile waren verrostet, und alles war mit einer dicken Staubschicht und Spinnweben überzogen.
Kryss kicherte. »Da zeigt sich wieder, was das für Leute sind, die vor kurzem noch Erak Maar beherrscht haben. Ihre ganze Fantasie haben sie darauf verwendet, Folterinstrumente zu ersinnen.«
»Auch du bist grausam zu deinen Feinden.«
Kryss fuhr herum. »Zu meinen Feinden ja, da hast
du Recht. Aber mein Volk hat von mir nichts zu befürchten.«
San erwiderte nichts. Dann entdeckte er einen Elfen in der Mitte des Raumes, der ein langes Magiergewand trug. Sans Herz begann zu rasen. Schon viele Jahre hatte ihn nichts mehr so erregen können. Das lange Leben, das er geführt, die vielen Schlachten, die er geschlagen hatte, hatten ihn abgestumpft. Nichts gab es mehr, was ihn verblüffen, was ihn erschrecken oder vor Freude beben lassen konnte. Nichts, außer ihm .
Kryss bedachte ihn mit einem hochmütigen Blick. »Wie du siehst, halte ich mein Wort. Das ist Zenthrar, der Magier, von dem ich dir erzählt habe.«
Der Elf verneigte sich leicht. Sein Schädel war vollkommen kahl und mit einem komplizierten Geflecht aus Tätowierungen überzogen. Als er das Gesicht hob, erkannte San, dass er extrem helle Augen hatte. Es war ein derart blasses Violett, dass es fast weiß wirkte.
»Du kennst die Bedingungen«, sagte Kryss, »aber um Missverständnissen vorzubeugen, will ich sie dir noch einmal wiederholen. Heute Abend darfst du ihn nur einmal sehen, mehr nicht. Erst wenn ganz Erak Maar von den Schmarotzern befreit ist, kommt er zurück und wird bei dir bleiben. Solltest du also deine Aufgabe nicht zu Ende führen, gehst du leer aus. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?«
San nickte.
»Wunderbar«, sagte der König. »Zenthrar, du kannst beginnen.«
Kryss trat einen Schritt zurück und überließ dem Magier das Feld, der sich sofort daranmachte, den Zauber
vorzubereiten. Hingerissen verfolgte San jede seiner Bewegungen. Zenthrar verbrannte einige Kräuter in einem Kohlebecken am Boden und gab dann etwas von jener Erde hinein, die San, fast ein Leben zuvor, Kryss gegeben hatte. Der Magier sprach eine Formel, San lauschte seinen Worten: Es war ein verbotener Zauber, man hörte es schon am Ton. Eine besondere Kraft fuhr San in die Glieder, ein Gefühl, das er kannte, weil er selbst diese Form der Magie ausübte.
Da verschluckte die Dunkelheit plötzlich alles, die Folterwerkzeuge, die Wände, Kryss mit seinem wahnwitzigen Traum, sogar der Magier schien allmählich zu verschwinden.
Gleichzeitig nahm, langsam und zunächst noch unscharf, eine Person vor ihm Gestalt an. Aber schon erkannte er sie, und sofort traten ihm Tränen in die Augen. Wütend wischte er sie mit dem Ärmel fort. Sie verschleierten seinen Blick, und er wollte keinen Bruchteil
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