Die Feuerkrone: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
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Dann reiße ich mich wieder zusammen. Er spricht von seiner Pflicht. Natürlich gehört sein Leben mir. Er ist der Leibwächter der Königin, der geschworen hat, sich einem Armbrustbolzen in den Weg zu werfen, wenn er mich auf diese Weise retten könnte.
Vorsichtig sage ich: » Ihr seid ein guter Freund, Hector. Und ich bin dankbar, Euch an meiner Seite zu wissen.«
Sein Blick richtet sich auf den Boden, und seine Brust hebt und senkt sich mit einem langen Atemzug. » Jederzeit.«
7
E s ist spät am Abend, und der Sonnenuntergang glimmt weich durch meine Balkonfenster. Ximena und ich sitzen im Schneidersitz auf meinem Bett inmitten von verblichenen Pergamenten und modrigen Schriftrollen– alten Grundrissplänen des Palastes, die auf meine Bitte hin aus dem Kloster beschafft wurden. Wir studieren sie schon seit Stunden.
Einer zeigt den Wiederaufbau des Thronsaals, ein anderer den Anbau des Klosters, aber aus keinem lässt sich etwas über Geheimtunnel oder unterirdische Dörfer ersehen. Enttäuscht schiebe ich die Pläne weg.
Dabei rutscht etwas aus einer der Schriftrollen heraus– ein dünn aufgerolltes Pergament, oben an der Seite leicht geschwärzt. Neugierig öffne ich das Siegel mit dem Daumennagel, und meine Finger berühren eine dunkle Substanz– Fäulnis oder Schimmel?–, als ich es auf meinem Oberschenkel glatt streiche.
Es ist eine Landkarte von Joya d’Arena. Mein Heimatland Orovalle ist nicht darauf verzeichnet; das schöne Tal nördlich der Hohen Sperre war noch nicht entdeckt, als diese Karte gezeichnet wurde. Daraus kann man schließen, dass sie vermutlich fünfhundert Jahre alt ist, ein unbezahlbarer Schatz, den ich nun unverantwortlicherweise Licht und Luft ausgesetzt habe. Ich sollte ihn sofort wieder ins Archiv bringen lassen, damit er ordentlich behandelt und sicher aufbewahrt werden kann. Aber ich kann den Blick nicht davon abwenden.
Die östlichen Besitzungen jenseits der Wüste, die jetzt das Land Basajuan darstellen, das meine Freundin Cosmé regiert, werden als » Gebiete« bezeichnet. Nur die Besitzungen im Norden und Süden sind klar ausgewiesen. Ganz ähnlich, wie sich mein Land heute darstellt, stelle ich überrascht fest. Die Teile Joya d’Arenas, die zum Ackerbau taugen, bilden die Form eines leicht schiefen Stundenglases: oben und unten breit, dünn und zerbrechlich in der Mitte, wo die Wüste und das Meer direkt hier, bei meiner Hauptstadt, aufeinandertreffen.
Aber Joya d’Arena ist nicht mehr allein. Ich habe Verbündete, die meine Grenzen auf zwei Seiten schützen: im Norden mein Vater und meine Schwester, im Osten Cosmé. Dadurch fühle ich mich ein wenig sicherer.
» Mein Himmel, es gibt da etwas, das ich dir sagen muss«, ertönt Ximenas Stimme.
Ich sehe zu meiner Kinderfrau auf. Der Staub hat eine schwarze Schliere auf ihrer Wange hinterlassen, und ein paar graue Haarsträhnen haben sich aus ihrem sonst so ordentlichen Knoten gelöst.
Sie holt tief Luft, als müsse sie sich auf etwas vorbereiten. » Ich habe versucht, ein wenig mehr über den Feuerstein herauszufinden. Während du bewusstlos im Bett lagst.«
Ich richte mich zu hastig auf, und ein paar Schriftrollen rutschen dabei zu Boden. » Und?«
Andächtig lässt sie den Zeigefinger über das Pergament auf ihrem Schoß fahren. » Du kennst doch die Prophezeiung aus Homers Afflatus, in der es heißt: ›Er konnte nicht wissen, was an den Toren des Feindes seiner harrte, und er wurde wie ein Kalb zur Schlachtbank ins Reich der Hexerei geführt.‹?«
» Vater Alentín glaubt, ich hätte diese Prophezeiung erfüllt, als ich von den Inviernos gefangen genommen wurde.« Ich bemühe mich um eine ausdruckslose Stimme und ein ruhiges Gesicht, weil ich fürchte, dass sie es sich sonst überlegt und nicht mehr weiterspricht. Ximena hat jahrelang dafür gesorgt, dass man mich über den Stein, den ich trage, in völliger Unkenntnis ließ, weil sie glaubte, dass dies der Wille Gottes sei. Ich weiß, wie schwer es für sie ist, sich von dieser tiefen Überzeugung ihres Glaubens zu lösen.
» Ich bin mir nicht sicher, dass es so ist.«
Ich schlucke schwer. » Oh.« Ich hatte mich an der Hoffnung festgehalten, dass ich diese ganze Sache mit dem » Reich der Hexerei« hinter mir hätte und dass mein Dienst an Gott darin bestehen würde, als Königin zu herrschen.
Sie schiebt das Pergament von ihrem Schoß und steht auf. » Es ist das Wort ›Tore‹, das mich stutzig werden ließ«, fährt sie fort und
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