Die Feuertaufe
Judith sich ganz darauf konzentriert hatte, vor ihrem geistigen Auge das Gesicht einer gewissen Dulcis McKinley vom Sozialdienst heraufzubeschwören, waren jegliche Gespräche einfach überflüssig gewesen.
»Sir«, sagte Vincent Valless jetzt, »ich habe hier etwas, das Sie sich meines Erachtens anschauen sollten. Umgehend.«
Er projizierte die Daten seines Minicomps so, dass alle sie gut betrachten konnten. »Diese Aufnahme des Gebiets vor dem Wohnturm wurde kurz vor Ruths Entführung angefertigt.«
Ein Bildausschnitt wurde vergrößert, und dann war deutlich eine Landeplattform zu erkennen, ein Stockwerk unterhalb von Judiths Apartment. »Das ist das Fahrzeug des Sozialdienstes. Die hier …« – er deutete auf eine Reihe unterschiedlichster Flugwagen – »sind alle auf die Bewohner dieses Wohnturms zugelassen. Dieser Wagen da ist der einzige, der nicht dazugehört.«
Er deutete auf einen sauberen Fluglieferwagen mit dem Logo von Überall-und-Jederzeit, einem bestens bekannten Lieferdienst – derartige Flugwagen waren so allgegenwärtig, dass niemand ihn auch nur eines zweiten Blickes gewürdigt hätte.
»Der Ü&J-Laster«, fuhr Valless fort, »ist etwa zum gleichen Zeitpunkt hier eingetroffen wie der Flugwagen vom Sozialdienst. Der Ü&J-Mitarbeiter ist zu einem Lieferanteneingang gegangen, die Frau vom SD hingegen zum Haupteingang.«
»Über die Eingänge des Gebäudes hinaus reicht der Aufzeichnungsbereich der Überwachungskameras leider nicht«, fuhr Valless fort, »aber vor dem Gebäude wurde die folgende Sequenz aufgezeichnet.«
Als der Lieferant das Gebäude betrat, hielt er ein Paket in der Hand, mühelos als einer der üblichen Kartons erkennbar, in denen Ü&J sämtliche ihrer Waren verpacken ließ. Als der Mann das Gebäude nur wenige Minuten später wieder verließ, trug er einen ganz ähnlichen Karton – ähnlich, aber nicht identisch. Vor ihrem geistigen Auge sah Judith unwillkürlich Ruth, zusammengekauert in dieser kleinen Kiste. Sie presste die Faust an die Lippen, um nicht entsetzt aufzuschreien.
Der Ü&J-Mitarbeiter lud die Kiste auf die Ladefläche seines Transporters, schloss die Klappe und vergewisserte sich, dass sie auch wirklich verschlossen war. Wenige Augenblicke später hob der Flugwagen ab und entfernte sich vom Gebäudekomplex.
»Judith«, fragte Michael, »gibt es noch einen anderen Zugang zu diesem Apartment?«
»Nur durch die Fenster«, erwiderte sie sofort, doch Dinah fiel ihr ins Wort.
»Ja, gibt es«, widersprach sie. »Es gibt einen Wartungsschacht, über den man Leitungen und anderes erreichen kann, ohne die Wände aufreißen zu müssen. Eigentlich ›führt‹ dieser Schacht nicht direkt ins Apartment, aber wenn jemand in den Schacht hineingekommen ist und sich im Gebäude auskennt, dann kann derjenige darüber auch in das eigentliche Apartment gelangen.«
Todd nickte. »Dafür müsste man ein paar Abdeckplatten in der Wand oder an der Decke ablösen. Aber mit dem richtigen Werkzeug wäre das sehr einfach. Ich habe früher in den Sommerferien bei einer Firma gejobbt, die solche Wartungen vorgenommen haben. Dabei bin ich mir immer ein bisschen wie ein Einbrecher vorgekommen. Natürlich ist es höchst illegal, ohne Erlaubnis auf diese Weise ein Apartment zu betreten …«
»Ja, aber Entführungen sind auch illegal«, fiel ihm Judith scharf ins Wort. »Lieutenant Valless, wohin ist dieser Ü&J-Laster dann gefahren?«
Valless nickte; eine knappe, militärische Geste. »Ich habe ihn nachverfolgt, und ich denke, Sie werden die folgenden Aufzeichnungen sehr informativ finden.«
In ihrer Ungeduld wusste es Judith sehr zu schätzen, dass Valless die Aufzeichnung ein wenig beschleunigt ablaufen ließ. Doch zu sehen, wie der Laster sich immer weiter entfernte, ließ ihr das Herz bis an den Hals schlagen. Es war, als sorgte Valless dafür, dass Ruth noch rascher verschwand.
Valless hatte den Ü&J-Laster mit einer blasstürkisen Markierung versehen, und so war es recht einfach, ihn im Auge zu behalten. Nun veränderte der Lieutenant die Perspektive, sodass sie wieder den Wohnturm sahen.
»Weniger als dreißig Sekunden später hat auch diese vorgebliche Mitarbeiterin des Sozialdienstes das Gebäude verlassen.«
Deren Fahrzeug war nun leuchtend violett markiert. Obwohl der Flugverkehr nicht festgelegten Straßen oder Routen folgte, ließ der gesamte Verkehr am Himmel es doch genauso wirken. Und so wurde es rasch offenkundig, dass beide Fahrzeuge genau die gleiche Route
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