Die Feuertaufe
Eigentlich war es überhaupt nicht Nairobis Art, mit ihr derlei Spielchen zu spielen, und schon gar nicht mitten in der Nacht, aber …
»Wir haben gerade einen Hyperabdruck aufgefangen – Entfernung etwas mehr als vierundfünfzig Millionen Kilometer. Ein einzelnes Schiff hält mit vierhundert Gravos geradewegs auf uns zu.« Kurz stockte Nairobi, dann räusperte er sich. »Sieht verdammt nach einem Schweren Kreuzer der Konföderation aus, Ma’am.«
»Bin sofort da«, sagte sie und schwang ihre langen Beine über die Kante ihrer Koje.
Weniger als sieben Minuten später betrat Honor die Brücke der Hawkwing . Die Uniform war makellos und saß perfekt, auf ihrem kurzgeschnittenen Haar trug Honor ihr weißes Barett. Hoch aufgerichtet saß Nimitz auf ihrer Schulter. Honors Miene wirkte konzentriert, aber entspannt.
»Kommandant auf Brücke!«, bellte der Quartermeister der Wache. Alle Offiziere machten Anstalten, sich zu erheben, doch Honor winkte nur knapp ab.
»Weitermachen«, sagte sie und ging zu Nairobi hinüber, als sich der Erste Offizier gerade aus dem Kommandosessel im Zentrum der Brücke erhob.
»Ich übernehme das Kommando«, sagte sie zu ihm und ließ sich in den Sessel sinken, den er gerade geräumt hatte.
»Aye, Ma’am. Sie übernehmen das Kommando«, bestätigte er förmlich. Mit dem Kinn deutete Honor auf den Hauptplot und das Icon, das darauf zu erkennen war. Stetig hielt es auf die Hawkwing zu.
»Gibt es schon weitere Informationen über unseren Besucher?«
Ihre Stimme klang deutlich ruhiger, als sie sich eigentlich fühlte. Seit dem heftigen Kampf an Bord von Casimir Depot waren fünf Tage vergangen, und bislang war Gouverneurin Obermeyer nicht einmal gewillt gewesen, mit ihnen überhaupt zu sprechen. Na ja, so ganz stimmte das nicht. Sie hatte nicht einmal den Erhalt von Honors gewissenhaften und (weitgehend) vollständigen Berichten über die zahlreichen Beweismittel bestätigt, die die Hawkwing an Bord der Plattform entdeckt hatte (außer dass die Gouverneurin sie rundweg als »unzumutbar« zurückgewiesen hatte, natürlich). Andererseits war sie mehr als willig, ausgiebig Ihrer Meinung Ausdruck zu verleihen, wie sehr die Hawkwing hier selbstherrlich, arrogant und in gänzlich unakzeptabler Weise die Souveränität von Territorium der Silesianischen Konföderation verletzt habe. Was auch immer dort, an Bord von Casimir Depot, geschehen sein mochte, es könne unmöglich diese schamlose, einseitige Einmischung des Sternenkönigreichs in interne Angelegenheiten der Konföderation rechtfertigen – und dann auch noch auf silesianischem Territorium! Die Konföderation sei ja schließlich kein einfaches Neobarbaren-System, kein Fliegendreck auf irgendeiner Karte, so hatte sie Honor eisig wissen lassen. Weiterhin habe sie die Absicht, eine öffentliche Entschuldigung – und zweifellos auch Reparationen – zu fordern, und zwar auf höchster Ebene.
Honor wünschte wirklich, Obermeyers Verhalten würde sie auch nur im Mindesten überraschen. Doch da die Systemgouverneurin nun schon beinahe zwei T-Jahre auf der Gehaltsliste von Manpower gestanden hatte – was sich anhand einiger Aufzeichnungen in Sokolowskas privaten Dateien mühelos belegen ließ –, blieb Obermeyer eine andere Reaktion kaum übrig. Sie konnte ja schlecht zugeben, dass diese Beweismittel ganz und gar stichhaltig waren. Also konzentrierte sie sich eben ganz darauf, den Überbringer dieser Beweismittel so gründlich anzugreifen und zu verunglimpfen, dass sich niemand mehr die Mühe machen würde, besagte Beweismittel überhaupt anzuschauen. Und während es gewiss möglich war, dass ihre eigenen Schirmherren – zu denen zweifellos auch Sektorengouverneurin Charnowska gehörte –, einflussreich genug waren, um jedwede offizielle Untersuchung zu unterbinden, war Obermeyer zu dem Schluss gekommen, in diesem Falle sei Angriff die beste Verteidigung. Es war offenkundig, dass sie die Absicht hatte, ihre äußerst kreative Umdichtung der Geschehnisse in der Nähe von Elsbietá als die ›offizielle Version‹ zu verkaufen. Und so hatte sie darauf geachtet, wirklich alles, was Honor ihr berichtet hatte, mit Spott zu überhäufen. Entsprechend hatte sie die offiziellen Berichte Honors als selbstsüchtige Lügengebäude behandelt – Lügengebäude, wie sie wohl auch kaum anders zu erwarten waren von einem gänzlich außer Kontrolle geratenen, eigenmächtig handelnden Offizier, der in derart schamloser Art und Weise die silesianische
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