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Die Fieberkurve

Die Fieberkurve

Titel: Die Fieberkurve Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Friedrich Glauser
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wechselt nämlich seine Minister wie ich meine Rasierklingen. Adieu!«
    Vanagass schien die Abneigung der Legion gegen Polizeipersonen nicht zu teilen. Es stellte sich heraus, daß er eine Art Kollege war, Polizeidirektor von Kiew unter dem Zaren – wenigstens erzählte er dies, während er mit Studer über den zugigen Kasernenhof ging. Er war von einer Höflichkeit, die entweder auf gute Kinderstube schließen ließ oder den Hochstapler verriet... Studer wurde nicht klug aus dem Mann. Er schien etwas über den gewissen Despine zu wissen, aber nicht mit seiner Weisheit herausrücken zu wollen. Endlich, nach dem vierten Glas Anisette, so nannte sich das Getränk, aber es war eigentlich unverfälschter Absinth, taute Sergeant Vanagass auf.
    Despine sei ihm aufgefallen, als er am Mittwoch mit einem Straßburger Détachement eingetroffen sei. – Nicht wahr, wenn man zwölf Jahre im Betrieb gewesen ist, so hat man Gelegenheit gehabt, physiognomische Studien zu betreiben! Despine? Er habe aus der farblosen Masse seiner Kameraden hervorgeleuchtet. Geleuchtet! Jawohl!... Wieso? Ganz einfach: er habe ausgesehen wie das verkörperte schlechte Gewissen. Ein Mann, der sicher etwas Schweres, etwas ganz Schweres ausgefressen hatte. Er, Vanagass, wette unbedingt auf Mord: scheuer Blick, zitternde Hände, Zusammenzucken, wenn ihn jemand ansprach. Eine schwere Nummer! Kein Wunder, daß er desertiert sei. Die Legion liefere ja nicht aus, wenigstens wenn es sich um kleinere Sachen handle... Aber Mord? Das sei etwas anderes. Und es handle sich doch um einen Mord? fragte Vanagass nebenbei, in der Hoffnung, sein Begleiter werde sich verschnappen. Aber Studer war auf der Hut. Dennoch konnte er sich einen kleinen Triumph nicht verkneifen.
    »Doppelmord!« sagte er mit tiefer Stimme. Und Sergeant Vanagass, ehemaliger Polizeidirektor von Odessa, wenn's stimmte!, spitzte den Mund und pfiff leise und langgezogen...
    »Tschortowajamatj!« fluchte er, und Studer fragte: »Wie bitte?«
    »Nichts, nichts.« Sergeant Vanagass ließ es sich nicht nehmen, auch eine Runde zu zahlen, eigentlich nur, um die Hundertfrankennote zu wechseln, die Studer ihm unter dem Tisch zugeschoben hatte. Dann stand er auf, machte zwei Schritte zur Tür, schlug sich demonstrativ mit der flachen Hand auf die Stirn – und kehrte um. Ganz nahe rückte er an Studer heran, gebrauchte die Hand noch, als Schirm vor dem Mund, und flüsterte: »Ich höre viel, Inspektor. Sie hätten keinen Orientierteren finden können als mich. Ist in Paris von dem Verschwinden eines Korporals Collani die Rede gewesen? Collani, ja, er stand mit dem 2. Bataillon in Géryville. Soll Hellseher gewesen sein, der Mann. Und ist im September verschwunden, entführt worden, besser gesagt. Von einem Fremden, im Auto.« Ganz abgehackt sprach Vanagass. Das Thema schien ihn arg zu beschäftigen. »Nun, wir haben das genaue Signalement des Fremden erhalten. Der Wirt des Hotels in Géryville hat es uns gegeben, dann ein Mulatte, bei dem der Collani verkehrt hat. Und der Besitzer einer Garage in Oran hat es bestätigt, das Signalement. Leider sind wir überall zu spät gekommen – das heißt, auch das ist nicht richtig. Das Auto ist in Tunis aufgegeben worden und richtig an den Garagenbesitzer zurückgelangt. Von dem Fremden aber und von dem Korporal Collani – keine Spur. Was ich sagen wollte... noch einen Wermut? Nein? Ohne Kompliment? Patron! Zwei Cinzano!... Was ich sagen wollte... Gesundheit, Inspektor! Ja... Was ich...«
    »Sagen wollte!« unterbrach Studer. »Sagen sie es endlich, glauben Sie, ich habe meine Zeit gestohlen?« Der Wachtmeister sprach scharf und übertrieb seinen Zorn.
    »Zu Befehl!« sagte Sergeant Vanagass, dessen Augen zu einem Schlitz zusammengeschrumpft waren. »Zu Befehl! Daite mne papirossu! Geben Sie mir eine Zigarette!« Der Sekretär des Colonel Boulet-Ducarreau war zweifellos betrunken. Aber nachdem ihm Studer den Tabaksbeutel hingeschoben hatte, drehte sich der Sergeant eilig eine Zigarette. Und dann sprach er in einem Zug:
    »Das Signalement des Fremden von Géryville stimmt mit dem Signalement des Despine überein. Gehen Sie nach Géryville, Inspektor! Zu Befehl, ich habe die Ehre, auf Wiedersehen!« und schritt zur Tür hinaus, wie ein Seiltänzer, die Unterarme waagrecht vorgestreckt, die Handflächen nach oben, als trüge er eine unsichtbare Balancierstange...
    »Das ist also die Fremdenlegion!« murmelte Studer. Dann aß er zu Mittag, fuhr am Nachmittag nach Oran

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