Die fiese Meerjungfrau
Unterrichtsstunden betrauert: Sie waren die einzigen Momente gewesen, in denen ihre Mutter ihr überhaupt Aufmerksamkeit geschenkt hatte.
»Wenn sie weg war, hab ich mich immer reingeschlichen, um ihre Bücher zu lesen, aber so geschickt wie sie war ich nie. Ich konnte nie einen so mächtigen Spiegel erschaffen.« Sie berührte die Lücke vorn in ihrem Halsband. »Ohne ihren Spiegel hätte ich vermutlich nicht einmal die hier erschaffen können.«
»Möchtest du, dass ich Danielle sage, sie soll sich nach einer mächtigeren Hexe umsehen?«
»Zauberin!« Wütend starrte Schnee Talia an, die ihrerseits eine nicht freundlichere Miene aufsetzte. Schnee gab zuerst nach und lächelte trotz ihrer Erschöpfung. »Mach nur weiter so, und ich werd dir zeigen, was mächtig wirklich bedeutet!«
»Also, was hält dich jetzt davon ab, Lirea zu finden?«
Schnee wandte sich wieder dem Spiegel zu. »Jedes Mal, wenn ich dicht herankomme, werde ich von etwas weggestoßen. Ich weiß nicht, ob es die Magie des Messers, Lirea selbst oder etwas anderes ist.«
Talia drehte sich um, als Schritte in der Waffenkammer hörbar wurden. Durch die Türöffnung sah Schnee Danielle, die dastand und die Decke studierte.
Schnee hüpfte vom Fass und gesellte sich zu ihr, wobei sie das Gesicht wegen der Krämpfe in ihren Beinen verzog. »Was machst du da?«
»Mir war nie richtig klar, wie groß das Meer wirklich ist«, meinte Danielle.
Ein verschlungenes Mosaik aus kleinen Platten bildete an der Decke der Waffenkammer eine Landkarte Lorindars. Nahe dem Zentrum markierten Amethyste die Grenzen von Elfstadt. Am nordöstlichsten Zipfel der Insel war ein Palast aus Kristall. Schieferplättchen krochen durch Lapislazuli-Ozeane, jedes ein anderes Schiff der Kriegsmarine Lorindars.
Waffen in allen Formen und Größen hingen an Holzhaken an den Wänden, von den angespitzten Stahlschneeflocken, die Talia für Schnee angefertigt hatte, bis hin zu den beschwerten Übungsstöcken, die Talia für ihr Konditionstraining benutzte.
Danielles verzaubertes Schwert hing mit der Spitze nach unten neben einer der Laternen; in der gläsernen Klinge spiegelte sich das Flackern der Flamme wider. Das Heft besaß die Form eines Haselnussbaums und war mit Holz eingelegt, um einen besseren Griff zu gewährleisten. Sie sah zwar zerbrechlich aus, aber Talia wusste aus Erfahrung, dass diese Waffe so tödlich wie nur irgendetwas in diesem Raum war. Die Klinge war ebenso glatt wie vollkommen und so klar wie Regenwasser, bis auf eine Handbreit Glas über der Parierstange: An dieser Stelle hatte Schnee sie vor einem Jahr mit ihrer Magie repariert, und jetzt war sie dort dicker und trüb wie Milchglas.
Danielle bückte sich und hob ein kleines Plättchen auf, das auf den Boden gefallen war. Schnee streckte die Hand aus und nahm es ihr weg.
»Die Branwyn.« Schnee drückte das Plättchen an die Decke, wo es durch Zauberei hätte festgehalten werden und ihnen den Standort des Schiffes hätte anzeigen müssen; stattdessen fiel es wieder zu Boden.
»Wie das?«, fragte Danielle und starrte auf das Schiff. »Ich dachte, die Branwyn sei ein Kriegsschiff!«
Talia sah den anderen Plättchen zu, wie sie über die Decke krochen. »Das Meervolk reißt ein Schiff von unten auseinander. Bis man merkt, dass sie unter einem sind, nimmt das Schiff schon Wasser auf. Wir können von Glück sagen, dass sie die Glaspantoffel nicht versenkt haben.«
»Du denkst, Lirea hat das getan?«, fragte Danielle.
»Kann schon sein.« Schnee steckte das Plättchen in die Tasche. »Selbst wenn sie die Branwyn angegriffen hat, ist sie längst fort, ehe wir bei den Wrackteilen ankommen.«
»Ich gehe nicht davon aus, dass du ein Plättchen anfertigen kannst, mit dessen Hilfe wir Lirea aufspüren könnten?«, fragte Talia.
Schnee schüttelte den Kopf. »Ich habe Monate damit zugebracht, diese Landkarte zu verzaubern und mich hinunter zu den Hafenanlagen zu schleichen, um an jedem Schiff der Flotte ein korrespondierendes Plättchen anzubringen.«
»Beatrice hat keine Monate«, sagte Danielle. »Vater Isaac zufolge wird ihr Körper höchstens noch ein oder zwei Wochen überleben.«
»Wir können doch nicht einen ganzen Ozean in zwei Wochen absuchen!«, protestierte Talia.
»Nein.« Schnee trat zur Seite, um sicherzugehen, dass Danielle sich zwischen ihr und Talia befand. »Wenn wir Lirea nicht finden können, sollten wir uns vielleicht nach jemand anderem umsehen, der uns helfen könnte.«
»Ihre Schwester
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