Die fiese Meerjungfrau
Lannadae!« Erneut betrachtete Danielle die Karte. »Falls Beatrice sie tatsächlich versteckt hat, dann bestimmt ganz in der Nähe. Wir könnten mit der Suche in der Hafengegend anfangen und dann -«
Schnee nahm ihren Mut zusammen. »Oder ich könnte euch zu ihr bringen.«
»Du weißt, wo Lannadae steckt?«, fragte Talia.
»Sozusagen.«
Danielle verschränkte die Arme. »Was heißt ›sozusagen‹?«
Schnee wich zurück und versuchte, die Unterhaltung zurück in die Bibliothek und fort von all den Waffen zu verlagern. »Es heißt ja. Beatrice hat mich schwören lassen, dass ich es geheim halte.«
Talia ging ihr nach. Sie war unbewaffnet, aber Schnee hatte einmal miterlebt, wie sie einen Troll mit nichts weiter als Tischgeschirr getötet hatte, daher war das weniger beruhigend, als es auf den ersten Blick aussah. »Seit wann weißt du es schon?«
»Seit letztem Herbst. Beatrice brauchte mich, um einen Spiegel aufzustellen, damit wir Lannadae während ihres Winterschlafs im Auge behalten konnten.«
»Wieso hast du uns nichts gesagt?«, fragte Danielle. Auch sie hörte sich verärgert an, aber sie konnte diesen Ärger besser im Zaum halten - anders als Talia, die dazu neigte, mit ihrem Ärger wie mit einem Vorschlaghammer umzugehen.
»Weil ich es versprochen habe.« Schnee zog sich tiefer in die Bibliothek zurück und hastete zu einem der Schrankkoffer an der Wand; sie öffnete den Deckel und nahm einen dunklen Umhang heraus. »Posannes zufolge war Lirea krank. Sie schlief tagelang am Stück und wollte sich nicht bewegen. Wenn sie aufwachte, führte sie Selbstgespräche und beachtete diejenigen um sie herum nicht. Ich nehme an, sie fing an zu glauben, dass ihre Schwestern ein Komplott gegen sie schmiedeten: Sie griff an und tötete die Ältere.«
Talia folgte ihr und warf mit ihren Worten wie mit Messern um sich. »Und dir ist nicht eingefallen, uns von einer mordgierigen Meerjungfrau wissen zu lassen?«
»Lirea war keine Mörderin.« Schnee ließ die Schultern hängen. »Ich meine, sie war schon eine, aber nicht so. Sie liebte ihren Vater. Sie beweinte ihre Schwester und flehte den König um Hilfe an. Sie versuchte, sich umzubringen.«
»Wenn es ihr geglückt wäre, läge Beatrice jetzt nicht in der Kapelle im Sterben«, sagte Talia.
»Posannes schickte Lannadae zur Königin, damit sie in Sicherheit wäre, während er Hilfe für Lirea suchte.« Es war Schnee gewesen, die die Heiler von Najarin empfohlen hatte. Najarin lag so weit südlich, dass es für den Stamm auf seiner Wanderung erreichbar war, und das Können der dortigen Heiler war beispiellos. Mehrere von Schnees eigenen Büchern waren handschriftliche Exemplare aus Najarin.
Talia schnaubte verächtlich. »Eine Tochter, die bereits einmal gemordet hatte!«
»Posannes war kein Dummkopf«, erwiderte Schnee. »Er hielt Lirea unter Bewachung. Sie war unbewaffnet und wurde ständig von anderen Undinen eskortiert. Er hätte eigentlich sicher sein müssen.« Sie betrachtete nachdenklich den Umhang in ihrer Hand. »Posannes schickte den ganzen Winter über Boten und ließ uns ausrichten, dass Lirea sich auf dem Weg der Besserung befinde.«
»Offenbar machte sie solche Fortschritte, dass sie ihren Vater ermordete und die Macht über den Stamm übernahm!« Talia wandte sich brüsk ab. »Du hast also gewusst, dass Lannadae hier ist, und hast trotzdem die Zeit mit deinem Spiegel vergeudet, statt uns zu ihr zu bringen?«
»Ich dachte, ich könnte Lirea selbst finden.« Schnee hielt den Kopf gesenkt, sodass ihre Haare ihr Gesicht verbargen. »Beatrice bat mich, es niemandem zu erzählen.«
»Beatrice liegt im Sterben!«
Jedes Wort war wie ein Schlag in die Magengrube. Schnee blinzelte die Tränen zurück, doch bevor sie antworten konnte, fragte Danielle: »Talia, würdest du einen Schwur brechen, den du Beatrice geleistet hast?«
Talia zögerte.
»Posannes war König seines Stammes«, fuhr Danielle fort. »Ich weiß nicht, wie es sich bei Undinen verhält, aber ich habe menschliche Königshäuser beobachtet. Was würde geschehen, wenn die anderen Stämme erführen, dass eine Tochter verrückt ist und die andere versteckt wird? Beatrice hat die beiden beschützt, das hat sie getan.«
»Hier.« Schnee warf Talia den Umhang zu, bevor diese etwas erwidern konnte, und nahm dann einen anderen für Danielle aus dem Koffer. »Willst du mich noch ein bisschen anschreien, oder willst du eine Meerjungfrau finden?«
»Warum kann ich nicht beides tun?«, brummte
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