Die fiese Meerjungfrau
liefern. Sing mit mir.«
»Was?«
Diesmal summte Morveren laut vor sich hin. »Sing mit mir!« Sie sprach, ohne dabei ihr Lied zu unterbrechen.
Schnee nickte und summte mit der Meerjungfrau mit. Eine einzelne Tonleiter, die sie an den Musikunterricht in ihrer Jugend erinnerte: Der Atem jenes Hauslehrers hatte auch nach altem Fisch gestunken.
Morveren sang tiefer. Schnee passte sich ihr an. Morveren wechselte mitten in der Tonleiter die Tonart und sprang auf eine höhere Tonhöhe. Schnee grinste und jagte ihrem Lied nach. Ihre Stimmen wurden ruhiger. »Sing der Katze vor!«, forderte Morveren sie auf. »Lass es mich nicht hören!«
Schnee gab sich größte Mühe. Sie senkte die Stimme noch mehr und konzentrierte sich auf Stummel. Ein Ohr des Katers zuckte.
»Gut! Jetzt flechte ein Bild in die Musik ein und verscheuche ihn!«
Sie stellte sich einen Troll vor, der sich heranschlich, um Stummel am Schwanz zu ziehen. Zwischen einer Note und der nächsten stieß sie dieses Bild nach der Katze.
Stummels Krallen gruben sich ins Holz, und fauchend stürzte er fort.
»Im Augenblick des Sendens hast du lauter gesungen«, sagte Morveren. »Ich konnte dieses haarige Biest genauso deutlich sehen, wie die Katze es gesehen hat.« Sie zeigte nach achtern. »Es heißt, eine wahre Meisterin kann ein Lied wirken, das laut genug ist, euren Steuermann dort taub werden zu lassen, und es dabei so präzise zu singen, dass der Matrose neben ihm keine einzige Note mitbekommt.«
Schnee streckte die Beine von sich und versuchte, die Steifigkeit aus ihren Muskeln zu bekommen. Sie blickte auf Morverens Schwanzstümpfe. »Wenn du so geschickt bist, warum konntest du dann Lirea nicht daran hindern, dir das anzutun?«
Morveren senkte den Kopf und starrte die Narbenknoten und missgebildeten Schuppen an. »Ich habe nie behauptet, eine Meisterin zu sein. Ihre Windgeister überrumpelten mich, und Lireas Wahnsinn verlieh ihr Stärke. Ich konnte sie daran hindern, mich zu töten, aber das war alles. Selbst wenn ich die Kraft gehabt hätte, sie zu bezwingen, hätte ich dabei ihren Verstand zerstört. Das ist das andere Risiko schierer, roher Gewalt: Man läuft Gefahr, zu vernichten, was man zu kontrollieren hofft.«
»Das klingt wieder nach Talia«, bemerkte Schnee.
Morveren lehnte sich zurück und lächelte. »Jetzt versuch mal, ob du dieses arme Tier dazu überreden kannst, mir etwas von dem Fisch zu bringen!«
*
Während des folgenden Morgens weigerte Stummel sich, aufs Deck herauszukommen, wenn Schnee irgendwo in der Nähe zu sehen war.
Morveren hatte ihr eine Aufgabe nach der anderen zugeteilt. Sie spritzte Wasser auf die Seite des Beiboots und verlangte von Schnee, einen einzelnen Tropfen gefrieren zu lassen, ohne den Rest zu beeinträchtigen. Als Schnee das endlich geschafft hatte, schickte Morveren sie fort, um eine Illusion zu wirken, die nur eine Person sehen sollte. Das dauerte den größten Teil des Abends, aber schließlich kam Schnee zurück, erschöpft und berauscht, und ließ einen äußerst verwirrten Smutje in der Kombüse zurück.
Morveren teilte ihre Zeit zwischen Ruhe, Lannadae und Schnee auf. Gegenwärtig hatten sie und ihre Enkelin sich in Schnees Kajüte eingeigelt und genossen ein Morgennickerchen. Wie viel Schlaf brauchten Meerjungfrauen überhaupt?
Schnee richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den Schiffszimmermann, der damit beschäftigt war, einen Abschnitt der Steuerbordreling zu reparieren. Morveren hatte ihr keinen weiteren Unterricht gegeben, also hatte Schnee sich selbst welchen ausgedacht. Sie summte vor sich hin und sammelte ihre Magie für einen weiteren Versuch.
»Hier steckst du also!« Lächelnd näherte sich Danielle, dicht gefolgt von Talia. Danielle trug Stummel in den Armen, aber als der Kater Schnee entdeckte, fauchte er und suchte das Weite.
»Kann das nicht warten?«, fragte Schnee, die sich immer noch auf den Zimmermann konzentrierte. »Ich bin so nah dran, ihn dazu zu bringen, sich in der Nase zu bohren!«
Danielle hielt ein Brötchen hoch. »Es freut mich zu hören, dass du das Frühstück wegen etwas Wichtigem verpasst hast.«
Schnee versuchte es noch ein letztes Mal - das Bohren geriet im letzten Moment zu einem Kratzen - und gab dann auf. Finster blickte sie den Mann an und schnappte sich das Brötchen. Bei dem Geschmack von Rosinen und Zimt lief ihr das Wasser im Mund zusammen. »Danke«, murmelte sie zwischen zwei Bissen. »Ich habe geübt, das ist alles.«
»Das haben wir
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