Die fiese Meerjungfrau
als vorher.
»Ich hasse das!«, flüsterte Talia wenig später. Sie hatte während der gesamten Verwandlung keinen Laut von sich gegeben, doch ihr Gesicht war schweißnass. Ihr Schwanz war von einem tiefen Blau, das in Flossennähe zu Grün verblasste.
»Du bist wunderschön!«, sagte Lannadae. »Ihr alle seid wunderschön.«
»Du solltest deine Kraft nicht mit Farbspielereien vergeuden«, tadelte Morveren Schnee stirnrunzelnd.
»Aber Talia sieht so viel besser aus in Blau!«, widersprach Schnee, während sie auf die Reling kletterte. Bevor Morveren darauf etwas erwidern konnte, ließ sie sich rückwärts ins Wasser fallen.
Danielle griff nach Talias Hand, und dieses eine Mal wurde sie ihr nicht entzogen. »Es wird nicht lange dauern«, sagte sie. »Schnee wird den Zauber entfernen, sobald sie kann.«
Talia atmete tief durch und straffte sich dann. »Ich schätze, wir sollten ihr besser folgen und dafür sorgen, dass sie sich nicht in Schwierigkeiten bringt. Na komm schon, Prinzessin! Je eher wir loslegen, desto eher werden wir diese Schuppen wieder abstreifen können!«
»Ich werde die Phillipa nach Westen bringen, damit wir nicht entdeckt werden«, erklärte Kapitän Hephyra. »Ich würde mit Euch kommen, wenn ich könnte. Laichzeit klingt nach Spaß!«
»Ihr seid genauso schlimm wie die da!«, stellte Talia fest, wobei sie auf Schnee zeigte. Kopfschüttelnd sprang sie Schnee hinterher.
»Denk an dein Versprechen!«, sagte Morveren. »Bitte bringt mir meine Enkelin zurück!«
»Das werden wir.« Danielle betrachtete die Reling. Für eine Meerjungfrau gab es keine elegante Möglichkeit, darüberzusteigen. Na ja, bei Talia hatte es elegant ausgesehen, aber das zählte nicht. Danielle rutschte nach vorn, hielt sich an einem Belegnagel fest und zog sich hoch. Das Holz kratzte sie schmerzhaft an der Brust. Sie drehte sich herum und balancierte auf der Hüfte; ihr Gewicht verlagerte sich, und ihr Körper neigte sich zum Wasser hin.
Sie bekam das Übergewicht, fiel, schlug mit dem Rücken hart auf dem Wasser auf und durchschnitt die Oberfläche. Sie stieß sich vom Schiff ab und mit einigen kräftigen Schwanzschlägen wieder nach oben. Ihre Muskeln katapultierten sie höher, als sie beabsichtigt hatte - mit diesem Körper würde sie noch etwas Übung brauchen.
»Wir werden auf Euch warten!«, rief Kapitän Hephyra.
»Danke!« Danielle winkte ihr zu und wurde im selben Moment rot, weil ihr bewusst wurde, dass der Segeltuchvorhang sie nicht länger vor Blicken schützte. Mit brennenden Wangen ließ sie sich tiefer sinken und schwamm zu Talia hinüber, die dicht am Rumpf geblieben war. Mit gesenkter Stimme sagte sie zu ihr: »Lass uns diesen Teil vor Armand verschweigen!«
»Ich persönlich beabsichtige zu trinken, bis ich die ganze Geschichte verdrängt habe«, antwortete Talia.
»Lirea hat einen starken Willen, aber ihre Gedanken sind chaotisch«, rief Morveren von oben herab. »Rohe Gewalt wird euch nicht weiterbringen. Macht euch ihre Verwirrung zunutze, um sie dazu zu verleiten, euch zu folgen.«
»Mach ich!« Wie ein Delfin sprang Schnee aus dem Wasser und tauchte dann unter.
»Pass auf dich auf, Aschenputtel!«, rief Lannadae vom Schiff.
Talia schnaubte verächtlich und verschwand gleich darauf wie Schnee unter den Wellen. Kopfschüttelnd folgte Danielle den beiden.
*
Für Danielle war das Meer zwar immer etwas Beeindruckendes gewesen, aber letzten Endes doch langweilig. Wasser war Wasser, Fische waren Fische, und Meerespflanzen waren Meerespflanzen.
Sie entdeckte schnell, wie sehr sie sich geirrt hatte. Durch den Ozean zu schwimmen, war wie durch eine andere Welt zu fliegen. Ihr Körper kam ihr federleicht vor. Die Strömungen waren sanfte Winde, die sie nach rechts drückten; Winde, die stärker und kälter wurden, je tiefer sie schwamm.
Dunkle Schatten zogen unter ihr vorbei. Ein Fischschwarm oder größere, weiter entfernte Kreaturen? Es war nicht festzustellen.
Meistens blieb sie dicht an der Oberfläche und glitt unter den Wellen dahin, indem sie Schnees Bewegungen nachahmte und die Arme an den Seiten behielt. Das Wasser flutete über ihr Gesicht und spülte den Schweiß von ihrem Körper.
Zum ersten Mal Wasser zu atmen, war ein Schock gewesen, doch nach ein paar Hustenanfällen hatte sie schließlich den Trick raus, auch wenn sie bezweifelte, dass sie sich je an das Gefühl gewöhnen würde, wie es durch ihre Kiemen strömte oder wie ihr Hals sich bei jedem Atemzug öffnete und schloss.
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